Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Letztendlich war jedoch ausschlaggebend, dass ich für den Unterhalt meines Autos arbeiten musste. Die wenige Freizeit, die mir blieb, verbrachte ich lieber mit Emma als damit, den Mädchen des Tanzteams dabei zu helfen, das Glitzergel farblich mit den paillettenbesetzten Kostümen abzustimmen.
Auch wenn ich ziemlich sicher war, dass Val meine Wahl gutgeheißen hätte: Ich konnte darauf verzichten, dass sie wegen meinen sozialen Aufstiegs einen Freudentanz aufführte. Dinge wie sozialer Status waren mir nicht so wichtig wie ihr. Mir genügte vollauf, mit Emma und ihren Freunden abzuhängen.
„Sein Name ist Nash.“
Tante Val öffnete die Schublade mit dem Silberbesteck und nahm ein Buttermesser heraus. „In welche Klasse geht er?“
Ich stöhnte innerlich. „Zwölfte Klasse.“ Jetzt war es so weit.
Tante Val strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Das ist ja wunderbar!“
Damit meinte sie in Wirklichkeit so etwas wie: „Entsteige endlich deinem gesellschaftlichen Schattendasein und strebenach dem Licht der Anerkennung.“ Oder irgend so einen Mist. Denn meine Tante und meine überprivilegierte Cousine kannten nur zwei Seinszustände: Entweder man war ganz oben, oder man gehörte in die Gosse. Und wenn man nicht ganz oben war, blieb nur eine andere Option …
Vorsichtig nahm ich das Brot aus dem Toaster, bestrich es dick mit Erdbeermarmelade und setzte mich auf einen der Hocker am Tisch. Tante Val machte es sich mit einem zweiten Becher Kaffee neben mir gemütlich und beendete unser morgendliches Gespräch, indem sie mit der Fernbedienung den riesigen Flachbild-Fernseher im Esszimmer anschaltete.
„… wir berichten live aus dem Taboo im Westend, dem Club, in dem letzte Nacht die Leiche der 19-jährigen Heidi Anderson auf der Toilette gefunden wurde.“
Oh nein!
Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich drehte mich wie in Zeitlupe auf dem Hocker um. Auf dem Fernsehbildschirm war eine Reporterin zu sehen, die etwas zu selbstsicher vor der Backsteinwand des Clubs stand, in den ich vor gerade einmal zwölf Stunden geschlichen war. Während ich noch ungläubig starrte, blendete der Sender ein Bild von Heidi Anderson ein. Sie saß auf einem Liegestuhl und lächelte strahlend in die Kamera, das rotblonde Haar vom Wind zerzaust.
Sie war es!
Ich konnte kaum atmen.
„Kaylee? Was ist los?“
Ich rang nach Luft und sah, dass Tante Val wie gebannt auf meinen Teller starrte. Der angebissene Toast lag darauf, mit der Marmeladenseite nach unten. Es war ein Wunder, dass ich die andere Hälfte noch im Magen hatte.
„Nichts. Kannst du das mal lauter stellen?“, antwortete ich und schob den Teller beiseite. Tante Val tat wie ihr geheißen, jedoch nicht ohne mir einen irritierten Blick zuzuwerfen.
„Die Todesursache ist noch unklar“, erklärte die Reporterin. „Nach Angaben der Mitarbeiterin, die Ms Andersons Leiche gefundenhat, waren keine Spuren von Gewalteinwirkung zu erkennen.“
Auf dem Bildschirm erschien Tracis Gesicht. Sie sah blass und mitgenommen aus, und ihre Stimme klang heiser, so als hätte sie geweint. „Sie lag ganz ruhig da, als würde sie schlafen. Ich dachte erst, sie wäre ohnmächtig … Aber dann habe ich gemerkt, dass sie nicht atmet“, stammelte sie.
Der Sender schaltete zurück zur Reporterin. „Ist das nicht Emmas Schwester?“, fragte Tante Val erstaunt. „Ja. Sie arbeitet im Taboo hinter der Bar.“
Tante Val starrte mit düsterem Gesicht auf den Fernseher. „Das ist wirklich tragisch …“
Wenn du wüsstest, schoss es mir durch den Kopf.
Ich hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut. Es war wirklich passiert!
Während meiner bisherigen Anfälle hatten Valerie und Brendon nie Veranlassung dazu gehabt, mein hysterisches Geplapper über wabernde Schatten und den nahenden Tod ernst zu nehmen. Da ich mich nicht mehr zum Schweigen bringen ließ, wenn ich erst einmal angefangen hatte zu schreien, hatten sie mich immer schleunigst nach Hause gebracht. Dort hatte ich mich dann meistens beruhigt, weil der Auslöser der Panik weit genug weg gewesen war. Nur beim letzten Mal war alles anders abgelaufen. Statt nach Hause hatten Valerie und Brendon mich direkt ins Krankenhaus gefahren und in die Psychiatrie eingewiesen. Ich erinnere mich noch an ihre mitleidigen und besorgten Blicke, gepaart mit einer leisen Erleichterung darüber, dass ich diejenige war, die den Verstand verlor, und nicht ihre leibliche, glücklicherweise völlig normale Tochter.
Und jetzt konnte ich beweisen, dass
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