Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
große Lüge – die mein ganzes Leben gewesen war – aufgedeckt worden war.
Aber moralischen Beistand konnte ich dringend gebrauchen.
Als Nash lächelte, sah ich im Dunkeln seine Zähne weiß aufblitzen. Dann stellte er den Motor ab.
Wir stiegen aus und trafen uns vor dem Auto. Nash nahm meine Hand und gab mir noch schnell einen Kuss auf die Wange, nah an meinem Ohr. Selbst hier, in der Auffahrt, unter den wachsamen Blicken meiner Tante, erschauerte ich unter seiner Berührung. Und sehnte mich nach mehr.
Ich war nicht verrückt, so viel war klar. Und ich war nicht allein. Nash war so wie ich. Trotzdem hatte ich Angst, als ich die Haustür öffnete und in den Flur trat, Nash hinter mir.
Meine Tante hatte sich im Flur aufgebaut und eine vorwurfsvolle Miene aufgesetzt. Doch unter dieser Maske verbarg sichetwas anderes, etwas weitaus Stärkeres und Dringlicheres. Hinter Val sprang mein Onkel von der Couch auf, sobald er uns hereinkommen hörte. Ich meinte, so etwas wie Erleichterung in seinem Blick zu lesen. Er hatte sich wahrscheinlich Sorgen gemacht, weil ich auf keine der zwölf Nachrichten reagiert hatte, die er auf mein stumm geschaltetes Handy geschickt hatte.
Doch die Erleichterung verflog schnell, als er erkannte, dass es mir gut ging. Am liebsten hätte er mir jetzt den Hals umgedreht. Das sah ich ihm deutlich an.
Seine Wut galt allein mir. Doch als er sah, dass ich nicht allein war, bekam auch Nash etwas davon zu spüren. „Es ist spät. Du kannst Kaylee morgen auf der Trauerfeier wieder treffen.“
Tante Val stand nur da und nippte an ihrem Kaffee – oder was auch immer es war –, ohne für mich Partei zu ergreifen.
Nash sah mich fragend an. Ich drückte seine Hand, um meine Entschlossenheit zu demonstrieren. „Onkel Brendon, das ist Nash Hudson. Ich möchte euch ein paar Fragen stellen, und er wird dabei sein. Andernfalls gehe ich mit ihm!“
Eine steile Falte erschien auf Onkel Brendons Stirn, und er presste verärgert die Lippen aufeinander. Im nächsten Moment riss er erstaunt die Augen auf. „Hudson?“ Er musterte Nash kritisch, dann leuchteten seine Augen. „Du bist der Sohn von Trevor und Harmony, oder?“
Wie bitte? Verwirrt blickte ich von Onkel Brendon zu Nash und wieder zurück. Neben mir bekam Tante Val einen regelrechten Hustenanfall. Sie hatte sich an ihrem „Kaffee“ verschluckt und klopfte sich wie wild auf die Brust.
„Ihr kennt euch?“, fragte ich stutzend. Doch Nash schien genauso überrascht zu sein wie ich.
„Ich kenne deine Eltern von früher, Nash“, erklärte Onkel Brendon. „Ich hatte keine Ahnung, dass deine Mutter wieder in der Gegend ist.“ Verlegen schob er die Hände in die Hosentaschen, was ihn noch jünger erscheinen ließ als sonst. „Es hat mir wirklich leidgetan, das mit deinem Vater.“
„Danke, Sir.“ Nash nickte, die Miene wie versteinert. Die Reaktionwirkte einstudiert.
Onkel Brendon wandte sich mir zu. „Der Vater deines Freundes …“ Er setzte an, um mir die Sachlage zu erklären, hielt dann jedoch plötzlich inne und lief rot an. Anscheinend hatte er die richtigen Schlüsse gezogen. „Du hast es ihr gesagt!“, rief er verärgert.
Nash stellte sich ihm mutig entgegen. „Sie hat ein Recht, es zu erfahren!“
„Und offensichtlich hatte keiner von euch vor, es mir zu sagen“, fügte ich hinzu.
Tante Val ließ sich auf einen der Sessel sinken und stürzte den Inhalt des Bechers in einem Zug hinunter, bevor sie ihn zitternd auf einen Untersetzer stellte.
„Nun, das kommt nicht gänzlich unerwartet. Dein Dad ist schon auf dem Weg hierher, um dir alles zu erklären.“ Onkel Brendon ließ die Arme unschlüssig fallen und seufzte kurz auf. Dann nickte er, so als hätte er eine stille Entscheidung getroffen. „Setzt euch, bitte. Ihr habt sicher Fragen.“
„Möchte jemand einen Drink?“ Tante Val erhob sich schwankend, den leeren Becher in der Hand.
„Ja.“ Ich lächelte sie zuckersüß an. „Ich nehme das, was du hattest.“
Val sah mich stirnrunzelnd an – heute schienen ihr die dabei entstehenden Falten egal zu sein – und schlurfte hinüber in die Küche.
„Ich hätte gern einen Kaffee“, rief Onkel Brendon ihr nach und setzte sich, ohne eine Antwort erhalten zu haben, in den Sessel mit dem Blumenmuster.
Ich führte Nash zum Sofa und setzte mich neben ihn. In dem Schweigen, das nun eintrat, fiel mir auf, dass meine Cousine noch gar nicht aufgetaucht war, um mir Löcher in den Bauch zu fragen oder mit Nash zu
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