Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
flirten. Es drang auch keine Musik aus ihrem Zimmer. Gar kein Geräusch, um genau zu sein. „Wo ist Sophie?“
Onkel Brendon rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her. „Sie weiß nichts von alldem. Sie schläft.“
„Immer noch?“
„Nein, wieder. Val hat sie zum Abendessen geweckt, aber Sophie hat nur ein paar Bissen gegessen und dann noch eine von diesen verdammten Pillen geschluckt.“ Er senkte die Stimme, als wollte er nicht, dass jemand den nächsten Satz mitbekam. „Am besten spüle ich den Rest der Tabletten die Toilette hinunter!“
Ich konnte ihm nur aus vollem Herzen zustimmen.
Ich nahm all meinen Mut zusammen – die Wut half mir dabei – und fixierte meinen Onkel mit dem strengsten Blick, den ich zustandebrachte. „Ich bin also kein Mensch?“
Onkel Brendon seufzte. „Du hast noch nie lange um den heißen Brei herumgeredet.“
Ich sah ihm fest in die Augen. Diesmal würde ich mich nicht von seinem sinnlosen Geplapper ablenken lassen. Stattdessen drückte ich Nashs Hand wieder fest.
„Nein, technisch gesehen sind wir keine Menschen“, sagte er. „Aber der Unterschied ist sehr gering.“
„Ja, genau.“ Genervt verdrehte ich die Augen. „Abgesehen von all den Todesfällen und dem Wehklagen.“
„Sie sind also auch ein Banshee, habe ich recht?“, fragte Nash und hielt das Gespräch somit auf höfliche Art am Laufen. Wenigstens einer von uns bewahrte die Ruhe …
„Ja, genau wie Kaylees Vater, mein Bruder.“ Onkel Brendon sah mir in die Augen, und das aufkeimende Mitgefühl in seinem Blick verriet mir schon, was er sagen würde. „Und deine Mutter.“
Hier ging es nicht um meine Mom. Soweit ich wusste, hatte sie mich niemals belogen. „Was ist mit Tante Val?“
„Ich bin ein Mensch.“ Tante Val beantwortete die Frage selbst. Sie war, zwei Becher voll dampfendem Kaffee in Händen, zurückgekommen und reichte meinem Onkel vorsichtig einen, ehe sie sich ihm gegenüber in den Lehnstuhl sinken ließ. „Und Sophie auch.“
„Sind Sie sicher?“, fragte Nash skeptisch. „Vielleicht hattesie bisher nur noch keine Gelegenheit, Vorahnungen zu entwickeln.“
„Heute Nachmittag ist sie dabei gewesen, als Meredith gestorben ist“, rief ich ihm in Erinnerung.
„Das stimmt.“
„Wir wussten es schon in dem Moment, als sie geboren wurde“, fügte meine Tante hinzu, so als hätten wir gar nichts gesagt.
„Woher?“, fragte ich, und Val schlug behutsam die Beine übereinander.
„Sie hat geweint“, antwortete sie über den Becherrand hinweg und nippte an dem Kaffee. Ihr Blick schien durch mich hindurch an die Wand hinter mir zu fallen. „Weibliche Banshees weinen nicht bei der Geburt.“
„Wirklich?“ Ich suchte bei Nash nach einer Bestätigung, doch er zuckte nur die Schultern. Offensichtlich kannte er sich mit diesem Thema genauso wenig aus wie ich.
Onkel Brendon warf seiner Frau einen besorgten Blick zu, bevor er erklärend hinzufügte: „Es kann Tränen geben, aber eine Banshee schreit nicht wirklich, bis sie ihre erste Seele besingt.“
„Moment mal, das kann nicht stimmen“, entgegnete ich. Als Kind hatte ich oft geweint, oder nicht? Bei der Beerdigung meiner Mutter mit Sicherheit …
Okay, ich erinnerte mich nicht besonders gut an meine Kindheit. Aber ich wusste noch genau, dass ich wie verrückt geheult hatte, als ich mit dem Fahrrad in einen Rosenbusch gebrettert war. Da war ich acht gewesen. Und auch mit vierzehn, als mein erster Freund mit mir Schluss gemacht hatte.
Wie lange hatte ich schon Todesahnungen gehabt, ohne mir dessen bewusst zu sein? Hatte ich schon in der Vorschule solche Anfälle gehabt? Oder hatte mich meine Jugend vor dem Tod geschützt? Seit wann behandelten sie mich schon wie eine Verrückte, obwohl sie genau gewusst hatten, was mit mir los war?
Ich spürte, wie mir die Zornesröte ins Gesicht stieg, und straffte die Schultern. Die Antworten meines Onkels warfen nurnoch mehr Fragen auf. Ich hätte all das längst erfahren müssen. „Warum habt ihr mir nicht die Wahrheit gesagt?“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich wollte Sophie nicht wecken, aber ich hatte so viel verpasst, so viel Zeit damit verbracht, an meiner geistigen Gesundheit zu zweifeln.
Während das, was eigentlich auf dem Prüfstand war, meine Menschlichkeit war!
„Es tut mir leid, Kaylee. Ich wollte es ja!“ Onkel Brendon schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln, und sah mich dann geradeheraus an. „Ich wollte es dir letztes
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