Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Totenklage. Nach einer Weile ist dein Seelengesang in ganz normales Schreien übergegangen. Du hattest schreckliche Angst, warst beinah hysterisch, und wir hatten Sorge, dass du dir etwas antun könntest. Wir wussten uns nicht anders zu helfen.“
„Und auf die Idee, mit mir zu reden, seid ihr nicht gekommen? Ihr hättet mir die Wahrheit sagen können!“ Ich warf meine Unterwäsche in ein Schubfach und schob es mit einem lauten Krach zu.
„Das wollte ich ja, ich habe es sogar versucht, aber du hast nicht zugehört. Wahrscheinlich konnte ich durch den Schrei gar nicht zu dir durchdringen. Ich habe es nicht geschafft, dich zu beruhigen, auch nicht als ich versucht habe, deine Stimmung zu beeinflussen.“
„Nash hat es geschafft, zweimal schon!“ Ich sank aufs Bett, als die Erinnerung mich überkam, und strich abwesend über die Decke. Allein der Gedanke an Nash reichte aus, mich zu beruhigen.
„Wirklich?“ Ein undefinierbarer Ausdruck huschte über das Gesicht meines Onkels. Eine Mischung aus Überraschung, Wehmut und Sorge. „Er hat dich beeinflusst?“
„Ja, um mich zu beruhigen. Warum?“ Plötzlich wurde mir klar, worauf er hinauswollte. „Nein! Er würde mich nie dazu zwingen, etwas zu tun, das ich nicht will. So ist er nicht!“
Onkel Brendon zögerte kurz, dann nickte er. „Gut. Ich bin froh, dass er dir dabei geholfen hat, deinen Gesang unter Kontrolle zu bringen, auch wenn er dabei seine Kräfte eingesetzt hat. Das ist immer noch besser als die Alternative.“
Er lächelte beruhigend, erreichte damit jedoch das Gegenteil. „Aber um zum Thema zurückzukommen, Kaylee: Du darfst dich nicht in das Geschäft der Reaper einmischen. Und du hättest ihn auf keinen Fall darum bitten dürfen, einen Kollegen zu bespitzeln. Wenn er geschnappt wird, werden sie ihn mit Sicherheit feuern!“
„Na und?“ Was bedeutete schon ein arbeitsloser Reaper im Vergleich zum Verlust eines unschuldigen Mädchens? Außerdem war es nicht das Ende der Welt, den Job zu verlieren. Emma war dafür das beste Beispiel. Bevor ich sie ans Kino vermittelt hatte, hatte sie alle paar Monate ihren Job verloren. „Reapern scheint doch ein recht anspruchsvoller Job zu sein, und Nash sagt, es gibt sie auf der ganzen Welt. Er wird sicher woanders einen Job finden. Im Krankenhaus gefällt es ihm sowieso nicht besonders.“
Onkel Brendon schloss die Augen, holte tief Luft und sah mir fest in die Augen. „Kaylee, du verstehst das nicht. Wenn ein Reaper seine Position einmal verloren hat, kommt er nicht mehr zurück!“
„Zurückkommen? Was meinst du damit? Zurück von wo?“ „Von den Toten. Reaper sind tot, Kaylee! Das Einzige, wasihren Körper und ihre Seelen zusammenhält, ist ihr Job. Verliert ein Reaper den Job, ist es um ihn geschehen!“
„Nein!“ Fassungslos ließ ich die Hände in den Schoß sinken und versuchte zu verarbeiten, was ich gerade gehört hatte.
Als Todd erzählt hatte, dass er wegen des kleinen Mädchens beinah seinen Job verloren hatte, meinte er damit sein Leben. Wenn sie ihn dabei erwischten, wie er für mich spionierte, würde genau das passieren.
Das war uncool, total uncool!
Warum in aller Welt hatte Todd dann zugestimmt? Doch nicht nur wegen meines Namens. Der war nicht allzu schwer herauszufinden, schließlich wusste er bereits, wo ich zur Schule ging. Und so interessant war ich als Person nun auch wieder nicht.
„Wir hatten keine andere Wahl“, entgegnete ich, und das stimmte. „Wir müssen wissen, ob diese Mädchen auf der Liste standen. Ich glaube nicht, dass sie sterben sollten. Und ohne die Liste werden wir es nie erfahren.“
Meine Entschlossenheit wurde mit jeder Sekunde stärker erschüttert. Ich steckte in dem klassischen moralischen Dilemma: Hatte ich das Recht, ein Leben für ein anderes einzutauschen? Das eines Mädchens, das ich nicht einmal gekannt hatte, für das eines Jungen, den ich nur einmal getroffen hatte? Wer entschied darüber, welches Leben mehr wert war? Andererseits war Todd bereits tot, und er war sich des Risikos, das er mit der Aktion einging, sicher bewusst gewesen.
Plötzlich erschien mir alles so sinnlos. Tief in mir spürte ich, dass diese Mädchen nicht hätten sterben sollen. Aber bei dem Versuch, das nächste Opfer zu retten, würde ich Kreaturen aus einer anderen Welt begegnen, die ich mir nicht einmal vorzustellen vermochte, und das Leben von mehreren in Gefahr bringen, auch meins.
Diese Hilflosigkeit lähmte mich. „Was soll ich nur machen?“,
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