Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
einer der Gründe, warum dein Dad so selten kommt. Wenn er dich ansieht, sieht er deine Mutter vor sich, und das ruft in ihm eine starke Reaktion hervor. Die Sache mit seinen Augen hätte bei dir Fragen aufgeworfen, für die er noch nicht bereit gewesen ist.“
Jetzt würde mein Vater nicht mehr darum herumkommen, mir zu antworten. „Wie alt bist du eigentlich wirklich, Onkel Brendon?“, fragte ich neugierig.
Er lachte leise und blickte zu Boden, und einen Moment lang befürchtete ich, dass er mir nicht antworten würde – und dass ich vielleicht irgendein ungeschriebenes Banshee-Gesetz übertreten hatte. Doch dann erwiderte er meinen Blick und lächelte sanft. „Ich habe mich schon gewundert, weil du noch nicht gefragt hast. Ich bin im letzten Frühjahr hundertvierundzwanzig Jahre alt geworden!“
„Verfluchter Mist!“ Ich riss ungläubig die Augen auf, und das Lächeln meines Onkels wurde noch breiter. „Du hättest schon vor sechzig Jahren in Rente gehen können! Weiß Tante Val Bescheid?“
„Natürlich. Und sie quält mich gnadenlos damit. Die Kinder aus meiner ersten Ehe sind älter als sie.“
„Du warst schon mal verheiratet?“, fragte ich entsetzt.
Das wehmütige Lächeln kehrte zurück. „Das ist in Irland gewesen, vor einem halben Jahrhundert. Wir mussten alle zwanzig Jahre umziehen, damit die Leute nicht merkten, dass wir nicht älter wurden. Meine erste Frau ist vor vierundzwanzig Jahren inIllinois gestorben, und unsere Kinder – beides Banshees – haben jetzt schon selbst Enkelkinder. Erinnere mich dran, dass ich dir bei Gelegenheit ein paar Fotos zeige.“
Ich nickte benommen. „Wow! Und sind diese Kinder netter als Sophie?“
Onkel Brendon runzelte die Stirn, doch es war ein halbherziges Stirnrunzeln, aus dem schnell ein mitfühlendes Lächeln wurde. „Offen gesagt, ja. Aber Sophie ist noch jung. Sie wird ihre Einstellung noch ändern.“
Daran hatte ich so meine Zweifel.
Mir kam ein neuer Gedanke. „Es ist schon paradox, oder?“ Ich trat einen Schritt zurück, um ihn – mit ganz anderen Augen – eingehend zu mustern. „Du bist dreimal so alt wie Tante Val, und siehst so viel jünger aus!“
Onkel Brendon blieb an der Tür stehen und blinzelte mir über die Schulter zu. „Glaub mir, Kaylee, paradox ist nicht das Wort, das deine Tante benutzt.“
14. KAPITEL
Aus der Dunkelheit drang Musik an mein Ohr, ein schwerer, harter Beat. Ich blinzelte verschlafen und zog missmutig die Decke bis zum Kinn hoch. Ich hasste es, so aus dem Schlaf gerissen zu werden. Gleichzeitig war ich froh darüber, dass der Traum, den ich gehabt hatte – eher ein Albtraum –, zu Ende war.
In meinem Traum war ich durch eine dunkle Landschaft mit seltsam schemenhaften Wegmarkierungen geirrt. Unförmige Schattenwesen huschten und wuselten um mich herum und verschwanden immer gerade rechtzeitig im Dunkeln, wenn ich mich ihnen entgegenstellen wollte. In einiger Entfernung lungerten noch größere Gestalten herum, und obwohl sie nie nahe genug herankamen, dass ich sie erkennen konnte, wusste ich, dass sie mir folgten. In dem Traum war ich auf der Suche nach etwas oder nach dem Ausweg aus etwas. Aber ich hatte nichts davon finden können.
Die Musik dudelte weiter, und ich stöhnte leise, als mir bewusst wurde, dass es mein Handy war. Ich drehte mich auf die Seite und tastete blind in Richtung Nachttisch, wobei ich mich mit den Beinen in der Überdecke verhedderte. Dann endlich spürte ich an den Fingern der rechten Hand das Vibrieren des Telefons, das auf der polierten Oberfläche des Nachtkästchens herumhüpfte.
Ich hielt das Handy vors Gesicht und blinzelte auf das Display, dessen blinkende Beleuchtung das halbe Zimmer in grünes Licht tauchte. Es zeigte eine unbekannte Nummer an, wahrscheinlich hatte sich jemand verwählt. Ich klappte das Telefon trotzdem auf. Es musste schließlich einen triftigen Grund geben, wenn jemand nachts um ein Uhr dreiunddreißig telefonieren wollte.
„Hallo?“, fragte ich. Meine Stimme klang heiser und unfreundlich.
„Kaylee?“
Also doch nicht verwählt. „Ja?“
„Hier ist Todd.“
Ich setzte mich so ruckartig auf, dass ich Sternchen sah. „Hat Nash dir meine Nummer gegeben?“ Selbst im Halbschlaf schaffte ich es, misstrauisch zu klingen.
„Nein, ich habe ihn noch nicht angerufen. Ich wollte es dir zuerst sagen.“
„Aha …“ Obwohl ich wusste, dass er wegen der Liste anrief, konnte ich nur daran denken, wie und warum er an meine Nummer gekommen
Weitere Kostenlose Bücher