Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
flüsterte ich und hörte selbst, wie jung und ahnungslos ich klang. Onkel Brendon hatte recht. Ich hatte wirklich keinen Schimmer,was hier vor sich ging. Und selbst die besten Vorsätze halfen mir nicht weiter, solange ich nicht wusste, was ich damit anstellen sollte.
„Ich fürchte, du kannst nicht viel tun, Kaylee.“ Onkel Brendon klang mindestens genauso deprimiert wie ich. „Solange wir nicht mit Sicherheit wissen, ob wirklich jemand zu Unrecht eingegriffen hat, handelst du dir bloß Ärger ein.“
Ich gab mir alle Mühe, unvoreingenommen zu bleiben und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Schließlich war die Beweislage ziemlich dürftig. Außer einem schlechten Gefühl und einer Menge Schuldgefühle hatte ich nicht viel vorzuweisen. Selbst wenn ich recht behalten sollte, war mein Handlungsspielraum nicht gerade groß. Ich wusste erst seit Kurzem, dass ich eine Banshee war, und hatte noch keine einzige meiner angeblichen Fähigkeiten ausprobiert. Es gab keine Garantie dafür, dass ich überhaupt irgendetwas tun konnte, um das Leben des nächsten Opfers zu retten, selbst wenn dessen Name nicht auf der Liste stand.
Vielleicht sollte ich mich lieber aus den Angelegenheiten der Reaper heraushalten. Im Endeffekt betraf es mich schließlich nicht.
Noch nicht.
Und wenn doch? Ein Mädchen aus meiner Schule war bereits gestorben, und es gab keine Garantie dafür, dass sie die Letzte blieb. Es könnte jeden treffen. Mich oder einen meiner Freunde.
„Und was ist, wenn ich recht habe und diese Mädchen zu früh gestorben sind?“, fragte ich. „Soll ich etwa tatenlos zusehen, wenn es eine Möglichkeit gibt, es aufzuhalten? Aber allein kann ich niemanden retten. Und je mehr Leute ich da mit reinziehe, desto mehr bringe ich auch in Gefahr.“ So wie Todd. Und Nash.
„Da hast du doch deine Antwort. Selbst wenn du bereit bist, dein Leben zu riskieren – und nur damit das klar ist: Das werde ich niemals erlauben, solange du in meiner Obhut bist –, hast du kein Recht, das anderer Leute aufs Spiel zu setzen.“Ich schnappte mir mein Kopfkissen und zupfte an einer Daune, die sich durch den Bezug gebohrt hatte. „Soll ich etwa ein unschuldiges Mädchen sterben lassen?“
Onkel Brendon stieß einen tiefen Seufzer aus und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Nein. Hör zu, ich mache dir einen Vorschlag. Falls dieser Reaper sich bei dir meldet und die Mädchen tatsächlich nicht auf der Liste standen, werde ich der Sache nachgehen, gemeinsam mit deinem Vater. Aber nur unter einer Bedingung: Versprich mir, dass du dich raushältst!“
„Aber …“
„Kein Aber! Abgemacht?“ Onkel Brendon sah mich fragend an. Ich öffnete den Mund, um mit ihm zu diskutieren, doch er gab mir keine Gelegenheit dazu. „Denk bitte an Nash und an Todd, bevor du antwortest. Und an alle die anderen, die du vielleicht in Gefahr bringst, wenn du das selbst in die Hand nimmst.“
Er wusste genau, dass er mich damit drankriegte. „Na gut“, sagte ich schließlich. „Sobald ich etwas von Todd höre, sage ich dir Bescheid.“
„Danke. Ich weiß, dass das nicht leicht für dich ist.“ Er stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen, während ich ein paar Socken in die Schublade stopfte.
„Ach was, wir sind doch eine Familie. Da stört sich doch keiner an irgendwelchen Geisteskrankheiten und dem bisschen krankhaften Schreien.“
Jetzt musste sogar Onkel Brendon lachen. „Es könnte wirklich schlimmer sein“, sagte er und blieb im Türrahmen stehen. „Du könntest zum Beispiel ein Orakel sein.“
„Es gibt Orakel?“
„Nur noch sehr wenige, und die meisten von ihnen sind nicht mehr zurechnungsfähig. Wenn du glaubst, dass es deiner geistigen Gesundheit schadet, ein paar Todesfälle vorherzusagen, dann überleg mal, wie es wäre, das Schicksal jeder Person zu kennen, die du triffst! Und diese Visionen kannst du nicht abstellen.“
Allein bei dem Gedanken daran bekam ich eine Gänsehaut.Wie war es möglich, dass es dort draußen so vieles gab, von dem ich nichts gewusst hatte? Wieso war mir entgangen, dass die Hälfte meiner Familie nicht menschlich war? Die wirbelnden Augen hätten es mir doch verraten müssen.
„Wie kann es sein, dass ich deine Augen heute Abend zum ersten Mal habe wirbeln sehen?“
Onkel Brendon lächelte wehmütig. „Weil ich schon sehr alt bin und gelernt habe, meine Gefühle weitgehend unter Verschluss zu halten. Obwohl das in deiner Gegenwart zunehmend schwieriger wird. Ich glaube, das ist
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