Soul Screamers: Todd (German Edition)
aus seinen dunklen Augen. „Ich bin zur rechten Zeit gestorben. Genauso wie er.“ Er nickte zu Nash hinüber, der leblos im Sitz hing. „Überzeug dich selbst.“ Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Hosentasche und hielt ihn mir hin. Vor lauter Zittern hätte ich die Liste beim Auffalten beinahe zerrissen.
Es handelte sich um ein offiziell aussehendes Formular mit irgendeinem mir unbekannten Stempel. Im blutroten Licht meiner Rücklichter las ich: Nash Eric Hudson. 23:48 Uhr. Ecke 3rd und Elm Street.
„Nein!“ Entschlossen zerriss ich den Zettel und warf die Fetzen wütend auf die Straße. „So darf es nicht enden.“
„Dir ist klar, dass du damit nichts änderst, oder?“ Die Hände in den Hosentaschen, blickte der Junge den Papierfetzen nach, die vom Wind davongetragen wurden. „Du bist ein Banshee, stimmt’s?“, fragte er. „Dann weißt du ja, wie das Ganze abläuft.“
„Ja.“ Mom hatte mit uns immer offen über den Tod gesprochen. Sogar als Dad gestorben war und wir noch klein gewesen waren. „Aber ich weiß auch, dass du es ändern kannst. Es ist doch möglich, etwas zu ändern …“
Ein interessiertes Funkeln trat in seinen Blick, und der Reaper wirkte auf einmal viel älter.
„Bitte! Es darf nicht so enden“, wiederholte ich. „Ich habe nicht aufgepasst, weder zu Hause noch auf der Straße. Es ist meine Schuld! Du musst mir helfen, es wieder gutzumachen.“
„Er wäre sowieso gestorben“, antwortete der Reaper schulterzuckend. „Wäre er daheim geblieben, hätte er sich am Essen verschluckt. Und wäre er auf der Party geblieben, hätte er seinen Freund irgendwann überredet, zu fahren, und dann wäre dasselbe passiert wie jetzt.“
„Woher weißt du …“ Ich schwieg überrascht.
„Ich habe ihn beobachtet. Der Punkt ist, dass du nicht schuld an Nashs Tod bist. Du bist nur das Werkzeug.“ Er blickte flüchtig zum Fahrer des anderen Wagens hinüber, der zwar bewusstlos war, aber noch atmete. „Zumindest eines der Werkzeuge.“
„Ich will aber kein Werkzeug für den Tod meines Bruders sein!“, schrie ich. „Das ist doch wohl völlig verrückt!“
Der Reaper musterte mich durchdringend, als könne er direkt in meinen Kopf schauen und meine Gedanken lesen. „Wogegen wehrst du dich? Gegen seinen Tod oder gegen die Rolle, die du darin spielst?“
Ich zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber lange genug, dass er meine Unentschlossenheit bemerkte. Die kurze Stille vor meiner Antwort.
„Beides!“, rief ich und fuhr mir hektisch durchs Haar. Am liebsten hätte ich einfach die Augen zugemacht und gewartet, bis alles vorüber war. Doch es würde nicht vorbeigehen. „So darf es nicht laufen. Kannst du ihm nicht … mehr Zeit geben? Bitte! Ich tue alles, was du willst. Nur noch ein paar Jahre.“
Der Kleine schüttelte den Kopf. Es lag nicht nur am Licht der Heckleuchten, seine Haare waren wirklich feuerrot. „Verlängerungen gibt es nicht.“
Meine Wut verwandelte sich in erlösende Taubheit, und ich sank auf die Knie.
Der Reaper kauerte sich vor mich. „Man kann höchstens tauschen. Ein Leben …“ Er hob die Hand, mit der Handfläche nach oben. „… gegen ein anderes.“ Mit beiden Händen imitierte er das Auf und Ab einer Waagschale. „Welchen Preis bist du bereit zu zahlen, damit er überlebt?“
Das Echo der Frage hallte tausendfach verstärkt durch meinen Kopf.
Der Blick des Reapers war genauso unergründlich wie seine Augenfarbe. „Willst du damit sagen, ich könnte …“
„Ich darf hier nicht ohne eine Seele im Gepäck weggehen“, unterbrach er mich, „aber es spielt keine Rolle, ob es seine ist oder deine. Die Entscheidung liegt bei dir.“
Ich warf einen Blick auf Nash, der immer noch bewegungslos im Sitz hing, einen Arm schlaff im Schoss. Der Reaper hatte recht: Nash wäre auf jeden Fall gestorben, egal, was ich getan oder gesagt hatte. Aber es machte mich fertig, dass ich ihn wegen meiner Freundin vernachlässigt und ihm vorgeworfen hatte, es gäbe keinen Platz für ihn in meinem Leben. Und dann hatte ich ihn direkt vor das Auto gelenkt, das ihn töten würde.
Wie sollte ich mit dem Wissen weiterleben, dass ich an seinem Tod mitschuldig war?
Ich holte noch einmal tief Luft; das würde einer meiner letzten Atemzüge werden.
„In Ordnung, ich mache es. Aber nur unter einer Bedingung.“
Der Junge zog amüsiert die Augenbrauen hoch. „Der Tod macht keine Versprechungen.“
„Er darf es nicht erfahren.“ Ich stand auf und
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