SOULMATE (German Edition)
auch immer, ich weiß, das klingt verworren und weit hergeholt, vielleicht lieg ich mit meiner übereifrigen Interpretation auch völlig daneben, keine Ahnung, aber eins sag ich dir, Valerie, er schreibt das Ganze dermaßen wortgewaltig, Respekt! Kein bisschen abgedroschen, keine Sentimentalitäten, kein Kitsch, keine Gnade, mir ist die Luft weggeblieben! Ich musste ein wenig an die ‚Eselin‘ von Nick Cave denken … Übrigens schreibt er auf Deutsch und Englisch gleichermaßen gut, und außerdem redet er nicht viel über seine Werke, der Gute. Ist das nicht Zucker? Ich musste ihn richtig beackern, damit er mal mit ein paar Leseproben rüberkommt.
Ach ja, frag ihn bloß nicht, wie er was gemeint hat, da kriegst du garantiert keine Antwort, musst dir schon deine eigenen Gedanken machen.«
Aha, alles klar.
Patrick mochte Leute, die tatsächlich etwas Künstlerisches zustande brachten, statt nur darüber zu reden. Seine sehr tolerant gefasste Definition des Künstlerbegriffs - denn eine Definition sei per se schon sehr kompliziert - beinhaltete lediglich die Mindestanforderung, geistiges Kreativgut in irgendeiner Form in die Praxis zu transportieren, also eine materielle Schnittstelle für andere Menschen zu schaffen, das sei auch schon alles. Nur darüber zu reden, hieß für ihn, immer in der gestaltlosen Theorie, im Vakuum zu bleiben. Er nannte jene nervtötende Schar von Möchtegern-Künstlern - und da gab ich ihm vollkommen Recht - schlicht und einfach ‚die Blablas‘.
In Berlin gibt es wirklich eine Menge von dieser ‚Blabla‘ Sorte. Sie können einem immer und überall begegnen, ganz ohne Vorwarnung. Womöglich war Finn Flanagan - jedenfalls, wenn es nach Patrick ging - keiner dieser blasierten, aufgeblähten Sorte von Dilettanten und Angebern.
Finn Flanagan …
Wie der Name schon klang! Er flutschte einem so leicht wie Eiswürfel über die Lippen, dass man ihn wiederholt aussprechen wollte … Finn Flanagan … Finn Flanagan !
Bescheuert …
Von meiner kleinen Wohnung zu Patricks Domizil waren es gerade mal fünfzehn Minuten zu Fuß. Dank der zwei Gläser Rioja, die ich zur Feier des Tages bereits intus hatte, war ich entsprechend leichtfüßig. Ich huschte also in der allerletzten Nacht des Jahres 2009, von einem unbegründeten Optimismus zusätzlich beflügelt, durch Friedenaus dunkle Seitenstraßen. Einige Kids ließen bereits ihre Chinaböller krachen. Hier und da sah man buntes Feuerwerk am nachtschwarzen Himmel explodieren. Ich spürte meine steigende Feierlaune …
Okay, ich freute mich auf das neue Jahr. Das Alte war nicht etwa schlecht gewesen, nein, hatte aber meinem Leben keine nennenswerten Wendungen gebracht. Und wieder war mir - wen wunderte es - rein gar nichts in den Schoß gefallen. Ich arbeitete nach wie vor fünfmal in der Woche in einem Multiplex-Kino in Steglitz, hatte nach wie vor keinerlei berufliche Ambitionen, seit ich mit der Schule durch war und auch absolut keine Vorstellung, was aus mir werden sollte. Mit meinen zwanzig Jahren sah ich noch keinen Sinn in einer ausgefeilten Zukunftsplanung, was meine gängige Rechtfertigung - manche könnten es auch Ausrede nennen - für meine persönliche Stagnation war.
Halbherzig hatte ich mich bei einem Sozialprojekt in Kreuzberg um eine Praktikumsstelle beworben - irgendetwas mit interkultureller Theaterpädagogik - aber bisher, und zu meiner insgeheimen Freude, noch keine Antwort erhalten.
Meinen Kinojob, so muss ich ganz ehrlich hinzufügen, wollte ich unter keinen Umständen aufgeben, denn ich liebte es, an der Kinokasse zu sitzen, von Filmplakaten und Pappaufstellern umgeben, oder an der Service Theke Popcorn und Getränke an gutgelaunte Menschen zu verkaufen. Mein Verdienst grenzte zwar an Ausbeutung, dafür war die Miete für meine winzige Wohnung nahe am Friedrich-Wilhelm-Platz sehr günstig, und ich konnte mir manche Kinofilme gratis reinziehen, mein ganz besonderes Privileg, wobei ich mir immer vorstellte, das Kino gehöre nur mir allein. Patrick behauptete, dass ich mich als geborene Träumerin in der unmittelbaren Nähe von fiktiven Welten naturgemäß wohlfühlen musste und machte sich neuerdings Gedanken über meinen weiteren Werdegang: »Valerie, geh doch mal in so ein Berufsinfo-Zentrum.« Verständlich, wenn man selber zwei Klassen überspringt und mit einundzwanzig ein Architekturstudium mit Bravour abschließt.
Patrick wohnte mit Kai und Samantha, einem ziemlich temperamentvollen Pärchen Anfang
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