Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Reise ans Ende der Nacht.
Doch die Nacht ist noch lange nicht zu Ende. Doktor Bardamu schreibt 1936 noch eine dieser Tranchen aus seinem vergifteten Leben: Tod auf Kredit. Ja, er kommt in Raten, die Umwege sind ihm die liebsten. Der Maler erkennt den schreibenden Doktor Destouches sofort wieder. Er ist es, derselbe, nur unter anderem Namen. Nie hat er dieses Gesicht vergessen können.
Er sieht denselben Doktor Bardamu oft in seinen Träumen wieder, der ihm in den Straßen von Clichy hinterherrennt. Er hat sich jetzt in einen geifernden Zwerg verwandelt, in seinen Händen rascheln die ätzenden Blätter, in denen er den blutenden Patienten und seinesgleichen als Ungeziefer bezeichnet, als Abschaum, als Folterer des Abendlandes. Es sind seine polternden Pamphlete, in der linken Hand: Bagatellen für ein Massaker, und in der rechten Hand: Die Kadaverschule. Der Doktor schreit, seine Stimme überschlägt sich, nicht umsonst ist er ein Freund und Verehrer des schnauzbärtigen Grimassierers: Ausrotten, vergiften diese Ratenplage, niedermachen diese Missgeburten. Und dass mir keiner übrig bleibt. Lasst keinen übrig, hört ihr … schreit der massakrierende Doktor, der ihn, den Maler, damals in Clichy aufgelesen und verarztet hat.
Und Doktor Bardamus Wunsch geht in Erfüllung, die Besatzer kommen im Mai 40 tatsächlich herbei, ihr von ihm erflehtes Reinigungswerk zu tun. Und sie staunen, wie gierig das Gift sie erwartet hat. Bardamu hat vor, noch den strammsten von ihnen zu übertreffen, beschämt manchen ihrer Sorte, die er der Halbherzigkeit bezichtigt, und stirbt nicht einmal in Sigmaringen, sondern wohlbehalten in seinem Bett in Meudon. Wäre Doktor Bardamu seziert worden, hätten die Pathologen gestaunt, wie viel Gift aus so einem Kadaver quellen kann. So viel Gift hat kein Mensch. Es will nicht mehr aufhören. Später saugen seine Verehrer den ätzenden Saft gierig aus den Löchern, die die literarische Obduktion hinterlassen hat, machen ihn zu ihrem rüpelhaften Heiligen, trinken lallend sein zotiges Evangelium von Rotz und Hass. Die massakrierende Gurgel fand prächtige Jünger.
Der Maler hört deutlich, wie Doktor Bardamu dem schwarzen Corbillard hinterherläuft, er schnaubt, er rennt, so schnell er kann, dem nur langsam vorankommenden Leichenwagen hinterher. Er hat ihn schon fast erreicht, schlägt mit der Faust auf die Hinterfenster, drückt sein Gesicht gegen das Glas, das der Maler schaudernd wiedererkennt.
Ungeziefer! schreit Doktor Bardamu. Abschaum! Ratte!
Und haut wieder mit der Faust gegen das schwarze Blech. Gehört er zur Truppe der Wikinger, zur versprengten Rotte schwarzer Wölfe, die den Maler in seinem Corbillard aufgegriffen hatte? Der Patient sieht den wölfischen Doktor deutlich hinter dem Wagen, die beiden Flügel der Hintertür sind plötzlich durchsichtig geworden, und der giftige Atem aus dem Rachen des Doktors keucht riechbar hindurch.
Hygienedienst!
Der Maler ist sich sicher, dass er das Wort klar und deutlich vor der Tür gehört hat. Er macht eine Bewegung, als müsste er sich von seiner metallischen Bahre erheben, doch er sinkt sofort zurück, wendet den Blick zur Außenwand, krümmt sich wieder zum schmerzenden Embryo. Draußen fahren armselige, von eifrigen Krähen besuchte Kartoffelfelder vorbei, da legt sich eine Hand auf seine Stirn.
Die Verschwörung der Konditorjungen
Der Maler in seinem lichtweißen Lakenpaket hat festgestellt, dass die Geräusche auf dem Flur zunehmen und abnehmen. Es gibt in seinem Raum weder Tag noch Nacht und kein Fenster nach draußen. Aber sein Ohr nimmt die Ebben und Fluten der Geräusche wahr, registriert sie mit einer sinnlosen Dankbarkeit, und diese klingenden Gezeiten verleihen seinen Tagen, wenn man es Tage nennen mag, einen Rhythmus.
Er ist geheilt, Doktor Bog persönlich hat es ihm bestätigt. Er befindet sich in einem Zustand grenzenloser Schmerzfreiheit. Sein Magengeschwür hat sich verabschiedet. Von Seligkeit zu sprechen, trifft seinen Zustand nicht. Aber der Lebenspuls in ihm ist verschwunden, ohne seinen Schmerz ist er nicht mehr, der er war. Er ist der Maler minus Schmerz. Ein Herz ohne Puls. Er erinnert sich an zwei Verse eines Dichters und weiß nicht mehr, von welchem sie stammen.
Wenn ringsum nichts mehr ist von allem, was war, ist egal, nimmt man dich durch Umkreisung oder Blitz.
Und ein Gefühl stellt sich ein, das er nicht Langeweile nennen mag und schon gar nicht Überdruss, denn das ist es bestimmt nicht. Der Schmerz
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