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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Wirklichkeit verändern sie bloß die Reihenfolge der Wörter. Komm, schau dir mal die Speisekarte von heute an!» Wir gingen also in die kleine Eingangshalle, wo die täglichen Aushänge zu findenwaren. Dienstag war Kinotag. Es wurde eine Vorstellung um 15 Uhr angeboten. Heute Die große Sause [ ∗ ] mit Louis de Funès. Gleich daneben war die Speisekarte angeschlagen:

     
    Die Heimleitung gab sich offensichtlich Mühe, die Dinge ansprechend zu präsentieren. Man hätte fast meinen können, man sei im Restaurant.
    «Schau», sagte sie, «sie hängen ständig irgendwelche unnützen Wörter dran. Der Salat, das ist einfach nur ein grüner Salat. Aber sie schreiben tourangelle, damit wir glauben, wir seien hier auf einer Reise. Und Suppe à la Crécy … Crécy, hau doch ab!»
    «Ich weiß nicht mal, was das ist.»
    «Und das Beste ist ja das hier … schau dir das an, das ist fabelhaft … Salat Iceberg!»
    «O ja, das ist der Knüller.»
    «Ich frage mich, ob sie sich da nicht ein bisschen über uns lustig machen wollen. Das heißt doch, dass wir irgendwo ein Leck haben, oder?»
    Ich liebte es, wenn sie so spöttisch war. Die Klage über die Mahlzeiten war ihr Lieblingsthema. Abgekochte oder irgendwie zerkleinerte Speisen hasste sie:
    «Sie bedenken nicht, dass es genug Leute gibt, die noch Zähne haben. Das Essen, das sie machen, ist nur für die Zahnlosen. Das ist diskriminierend.»
    Ich fing an zu lachen. Sie auch, mit leichter Verzögerung. Sie hatte nicht gleich gemerkt, wie komisch das war, was sie mir erzählte. Ich würde ihr in ihrem Kampf beistehen. Sie würde ein Che Guevara sein, der für die gute Sache der Zähne eintrat. Dann verstummte ihr Lachen. Eigentlich war das alles nicht lustig. Ich schlug vor:
    «Wir könnten beim nächsten Mal ja essen gehen. In der Nähe ist ein Lokal, wo es Meeresfrüchte gibt.»
    «Du wirst dich noch ruinieren.»
    «Ich hab jetzt nicht gesagt, dass ich dich einladen will …»
    «Ich hab aber kein Geld mehr. Wenn ich was brauche, gibt mir dein Vater ein bisschen was. Stell dir das mal vor … ich kriege Taschengeld.»
    Sie sagte das mit einem leisen Lächeln, aber ich spürte, dass sie da eine weitere Bastion in ihrem Unabhängigkeitskrieg aufgegeben hatte. Sicherlich ist es notwendig, für alte Leute Entscheidungen zu treffen, aber in dem Fall schien es mir, als wäre man den Ereignissen zuvorgekommen. Meine Großmutter war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, und ihr war nur allzu bewusst, was man ihr vorenthielt.
     
    Wir schlenderten noch ein wenig herum und setzten uns dann zur
großen Sause.
Wir waren die einzigen Zuschauer, schauten zu zweit auf einen großen Fernseher. Louis de Funès hob also zu seinem berühmten «Irre ich mich, oder ist der Herr Franzose?» an. Wir lachten, als sähen wir den Film zum ersten Mal. Man konnte diesen Film eigentlich hundertmal sehen, das Vergnügen war jedes Mal das gleiche. Er funktionierte noch. Die Bilder erzeugten keinen Überdruss. Sie waren nicht gealtert. Und mir ging diese französische Redensart durch den Kopf, die ich so schön finde: «Dieser Film hat gar keine Runzeln bekommen.»
    ∗ Für den Fall, dass es jemanden gab, der den Film noch nicht gesehen hatte.

14
Erinnerungen von Gaston Martinez
    Vor vielen Jahrzehnten war Gaston Martinez in heftige Gefühlswirren verwickelt. Nachdem er als Boxer die Vorkriegsjahre entscheidend mitgeprägt hatte (manch einer erinnert sich sicherlich noch an seinen sagenumwobenen Kampf gegen den Frankoargentinier Raoul Perez), beschloss er plötzlich, seine Karriere aus Liebe an den Nagel zu hängen. Sein näheres Umfeld, sein Trainer, seine Familie, alle versuchten, ihn von seiner Entscheidung abzubringen, doch nichts zu machen: Er war hoffnungslos verknallt. Das heißt, man konnte nicht wirklich von einem «Knall» sprechen, denn er hatte mit seiner Angebeteten schon im Sandkasten gespielt. Es kam ihm so vor, als wäre er bereits verliebt in sie geboren worden. Das Mädchen litt schwer, wenn sie Gaston im Ring stehen sah, es fürchtete, man könne ihm die Nase zertrümmern, es fand ihn so schön. Also hatte er ihren Qualen ein Ende bereitet.
     
    Éléonore war Grundschullehrerin, und am Abend korrigierten Éléonore und Gaston gern gemeinsam Schularbeiten. Hätte er seinen Lebensunterhalt mit den Fäusten bestritten, wäre er genauso klug geworden. Die leidenschaftliche Liebe, die er für Éléonore empfand, verblasste nie, und mittlerweile hatten sie eine kleineTochter, die Anna

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