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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Persönlichkeit», was in Wirklichkeit die wunderliche Summe all der auf mich einströmenden Einflüsse war. Wenn ich nachts im Hotel arbeitete, würde ich endlich die idealen Bedingungen um mich scharen, die das in mir schlummernde Genie wach zu rütteln vermochten.
     
    Ich fand eine Stelle in einem kleinen Pariser Hotel. Einem sehr ruhigen Hotel. Die Torheit der Menschen ruhte, und ich erlebte diese Ruhe aus nächster Nähe. Auch die Frauen ruhten, was mich allerdings in eine vollkommen andere Stimmung versetzte. Manchmal, wenn eine Unbekannte in ihr Zimmer hinaufging, stellte ich mir vor, wie sie nackt aussah, und das waren leidvolle Vorstellungen. Sollte das mein Leben sein? Die Frauen stiegen die Stufen empor, während ich im Erdgeschoss festsaß? Ich gab mich meinen Phantasien hin und verfluchte mitunter die Begleiter dieser Frauen. Laut Statistiken hatte man in Hotels mehr Geschlechtsverkehr als zu Hause. Nachtwache halten heißt auch, über die Liebe der anderen wachen. Die beschwipsten Touristen, die gern lange ausblieben, unterbrachen meist die erotischen Hoffnungen, die ich mir machte. Nachdem sie aus allen umliegenden Bars hinausgeworfen worden waren, klammerten sie sich an einen letzten Gesprächspartner: an mich. So kam ich zu den idiotischsten Unterhaltungen meines Lebens. Ich sage idiotisch, aber womöglich waren sie ja auch extrem geistreich. Man ist zu fortgeschrittener nächtlicher Stunde nicht mehr in der Lage, über den Gehalt von Wörtern zu urteilen. Ich hörte mir das an, dachte darüber nach, gab mich meinen Phantasien hin und begriff, was den Menschen ausmacht.
     
    Gérard Ricobert, der Inhaber des Hotels, schien mit meiner Arbeit zufrieden zu sein. Er hatte auch allen Grund dazu. Ich war zuverlässig und fügsam. Ich nahm ohne Murren hin, wenn die morgendliche Ablösung mit Verspätung eintrudelte.Manchmal tauchte er mitten in der Nacht auf, um nachzusehen, ob ich eingeschlafen war oder mir ein Mädchen eingeladen hatte, das mir Gesellschaft leistete (eine höchst unwahrscheinliche Vermutung). Ich spürte, wie es ihn jedes Mal entwaffnete, wenn er mich kerzengerade und äußerst rege auf meinem Stuhl sitzend vorfand, und ich spürte auch, dass er einen solchen Diensteifer im Grunde als lächerlich empfand. Er bot mir immer eine Zigarette an, die ich annahm in der Hoffnung, ich könnte, indem wir Rauchringe bliesen, einem Gespräch aus dem Weg gehen. Als sein Blick eines Abends auf mein Notizbuch auf dem Empfangstresen fiel, erkundigte er sich:
    «Schreibst du?»
    «Öh … nein.»
    «Richtige Schriftsteller sagen immer, sie würden nicht schreiben.»
    «Oh … keine Ahnung.»
    «Weißt du, als Patrick Modiano ungefähr in deinem Alter war, hat er auch als Nachtportier hier gearbeitet.»
    «Echt? Ist das wahr?»
    «Äh, nein … ist nur Quatsch.»
    Als er ging, flüsterte er mir zu: «Dann gute Nacht, Patrick.» Meine Konzentration war dahin. Warum trieb er seine Späße mit mir? Sicherlich gehörte er zu der Sorte Mensch, die, wenn sie Essen ging, geraume Zeit für sich in Anspruch nahm und schon beim Aperitif ihre Anekdoten zum Besten gab (die immergleichen Anekdoten; gewiss hielt er sich mit einem dürftigen Reservoir an Geschichten, deren Erfolg er an gefügigen Familienmitgliedern ausprobierthatte, gesellschaftlich gerade so über Wasser; die ständige Angst, in der er lebte, war natürlich, dieselbe Geschichte derselben Person zweimal zu erzählen). Damals kannte ich ihn noch nicht und fürchtete, berufliche Verpflichtungen könnten mich dazu nötigen, seine Eingebungen und Betrachtungen bezüglich der Allgemeinheit ertragen zu müssen. Mir graute davor, über seine Witze lachen zu müssen, weil mich doch nichts weniger zum Lachen bringen konnte als ein Witz, und mochte es der lustigste Witz der Welt sein.
     
    So oft in meinem Leben sollte ich mich in Menschen täuschen, dass ich zu folgendem Entschluss gelangte: Wenn ich nicht mindestens ein halbes Jahr mit einer Person bekannt bin, erlaube ich mir kein Urteil über sie. Es kann nicht angehen, dass ich mich auf meine angeschlagenen und durch unmäßige Phantastereien sicherlich in Mitleidenschaft gezogenen oder aufgrund meiner Unerfahrenheit in menschlichen Beziehungen schlichtweg hinfälligen Intuitionen verlasse. Was wusste ich denn von diesem Mann? Ich wusste zum Beispiel nicht, dass er eine gewisse Zuneigung zu mir empfand, die er in seinen Scherzen ungeschickt zum Ausdruck zu bringen versuchte. Jeder drückt seine Gefühle so

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