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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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im Norden Portugals für einen Dokumentarfilm zahlreiche Anekdoten aus seinem Leben preis. Der Film und dasBuch, das anschließend herauskam, tragen den von Mastroianni selbst gewählten Titel:
Ja, ich erinnere mich.
Mit diesen ersten Worten beginnen die Bilder seiner Vergangenheit in ihm aufzusteigen: «Ich erinnere mich an eine Aluminiumpfanne ohne Stiel. Meine Mutter briet darin Spiegeleier … Ich erinnere mich an die Melodie von
Stardust.
Es war vor dem Krieg. Ich tanzte mit einem Mädchen, das ein geblümtes Kleid trug … Ich erinnere mich an die elegante Leichtfüßigkeit Fred Astaires … Ich erinnere mich an Paris, als meine Tochter Chiara zur Welt kam … Ich erinnere mich, wie Greta Garbo auf meine Schuhe blickte und sagte:

Italian shoes?› … Ich erinnere mich an die Hände meines Onkels … Ich erinnere mich an den Schnee auf dem Roten Platz in Moskau. Ich erinnere mich an einen Traum, in dem mich jemand auffordert, ich solle die Erinnerungen aus meinem Elternhaus mitnehmen. Ich erinnere mich an eine Zugreise während des Krieges: Der Zug fährt in einen Tunnel; es wird stockfinster, und in diesem Augenblick, während alles ganz still ist, küsst mich eine Unbekannte auf den Mund … Ich erinnere mich an den Wunsch, zu sehen, wie diese Welt im Jahr zweitausend aussieht
…»
Und so weiter; mit wenigen gefühlvollen Pinselstrichen reiht er seine Erinnerungen aneinander, so ähnlich wie Georges Perec. Und er macht im weiteren Verlauf seiner Bekenntnisse diesen wundervollen Ausspruch: «Erinnerungen sind eine Art Hafen; und vielleicht sind sie auch das Einzige, was wirklich uns gehört.»

49
    Wir mussten noch einen Tag bleiben, um die Überführung der Leiche nach Paris zu regeln. Es ist alles andere als einfach, sich in einem Moment, in dem man nur noch niedersinken und sich seinem Kummer hingeben will, mit praktischen Dingen auseinandersetzen zu müssen. Mein Vater unterrichtete mich, dass meine Großmutter «vorgesorgt» habe. Das heißt, es kommt im Leben eines Menschen der Tag, an dem er beschließt, konkrete Maßnahmen im Hinblick auf den eigenen Tod einzuleiten. Ich fand das unfassbar, so absurd wie den Gedanken, dass ein Embryo seinen Mutterleib wählt. Ich versuchte, mir meine Großeltern in einem Bestattungsinstitut vorzustellen (sicher waren sie zu zweit hingegangen). Hatten sie das an einem ganz normalen Tag gemacht? Hatten sie sich ihre Särge ausgesucht und waren anschließend weiter zu Carrefour zum Einkaufen gefahren? Ich versuchte mir das wirklich vorzustellen, mir diese Erinnerung, die ich nicht hatte, einzuverleiben. Kauft man sich einen Sarg, so, wie man ein Auto kauft? Liegt man Probe? Schwankt man zwischen verschiedenen Modellen? Auf dem Formular, das mein Vater mir hinhielt, war alles genau vermerkt: Meine Großmutter hatte sich für einen mit Molton gefütterten Eichenholzsarg mit Extrakissen entschieden. Ja, das stand wirklich da: «Extrakissen». Das heißt,es gibt auch Leute, die im Jenseits lieber Genickstarre bekommen. Derlei Gedanken taten mir einfach not, mein Kopf brauchte ein paar Lockerungsübungen. Und mein Vater war sicherlich nicht das geeignete Gegenüber für eine Unterhaltung über die Absurdität dieser praktischen Dinge. Normalerweise kommt man wieder zur Besinnung, nachdem man den ersten Schock verdaut hat. Doch das war bei ihm nicht der Fall, er wirkte wie in seine Anfangspose gemeißelt, verharrte in dem Moment, in dem man ihm den Tod seiner Mutter verkündete.
     
    Einen guten Teil des Tages brachten wir auf den gelben Sitzen eines Krankenhausflurs zu und warteten auf den Fahrer des Leichenwagens. Endlich kam er, hatte allerdings noch keine Zeit für uns. Er war mitten im Gespräch. Anfangs glaubte ich, seine Worte wären an uns gerichtet, aber dann merkte ich, dass er ein Headset trug. Ich habe diese Art der Kommunikation seit jeher affig gefunden. Die Leute, die sie praktizieren, waren bestimmt vormals Verrückte, die die Gewohnheit hatten, mit sich selbst zu reden, und nun hatten sie ein modernes Hilfsmittel gefunden, das ihnen erlaubte, ihrem Wahnsinn zu frönen. Der Mann deutete eine Geste der Entschuldigung an. Offensichtlich musste er sein Gespräch zu Ende führen. Er stand vor uns, und wir warteten darauf, dass er die Angelegenheit klärte. Sie betraf den Abtransport einer anderen Leiche. Dass er uns warten ließ, signalisierte er uns mit freundlichen Handzeichen. Ihm schien gar nicht bewusst zu sein, wie taktlos sein Benehmen war. Nach fünf

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