Souvenirs
gequirlte Scheiße, was du redest. Du Kinderschänderin!»
«Du Winzschwanz.»
«Du frigide Gans.»
«Bei dir muss man ja frigide werden! Bei dir würde selbst eine Nymphomanin frigide werden!»
«O, ah, das ist ja ganz schön gemein! Und das geht jetzt echt unter die Gürtellinie …»
«Monsieur schwebt jetzt nämlich in höheren Sphären! Monsieur schaut sich An-to-nio-ni-Filme an! Dabei verstehst du überhaupt nichts davon! Das merkt ein kleines Kind, dass du überhaupt nichts davon verstehst! Du willst bloß angeben! Nein echt, wer sich zehn Sekunden mit dir über
L’avventura
unterhalten hat, weiß, dass du den Film überhaupt nicht verstanden hast.»
«Was? Ich hab
L’avventura
nicht verstanden!? Ich soll den nicht verstanden haben,
L’avventuraaaaaa?
»
«Ja, genau, du hast keinen Piep verstanden!»
Als sie an dem Punkt angelangt waren, gingen wir. Den weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung, die eine erstaunliche cineastische Wendung nahm, bekamen wir also gar nicht mehr mit. Meine Eltern waren so mit ihrem Hass beschäftigt, dass sie sich gar nicht erst bemühten, uns zurückzuhalten. Schweigend stiegen Louise und ich wieder in die S-Bahn. Unser Wochenende war eine einzige Achterbahnfahrt. Erst war es langsam zu einem romantischen Besäufnis nach oben gegangen, und nun rauschten wir volle Kanne in die nüchterne und bestürzende Realität hinunter.
«Ist das das Leben, wenn man Mann und Frau ist?», flüsterte Louise nach einer Weile.
«Ich bitte dich. Meine Eltern kannst du nicht als Beispiel nehmen. Sie haben sich nie geliebt. Ich bin keinKind der Liebe. Ich bin das Kind einer vorübergehenden Laune.»
«Welche Laune?»
«Ihre ganze Ehe war eine Laune. Sie haben nie aufgehört, sich zu wundern, dass sie miteinander verheiratet sind, dieses Schauspiel schau ich mir schon mein Leben lang an. Mein Vater wunderte sich, dass er mit meiner Mutter verheiratet ist, und meine Mutter wunderte sich, mit meinem Vater verheiratet zu sein. Natürlich haben nicht beide das Gleiche empfunden, wie du dir denken kannst. Mein Vater konnte es nicht fassen, dass es ihm gelungen war, meine Mutter zu heiraten; und meine Mutter hat versucht, so gut es ging, den Trübsinn zu verscheuchen, den sie verspürte, wenn sie sich meinen Vater anschaute.»
«Das glaub ich nicht. Ich hab sie jetzt nicht so oft erlebt, aber ich hatte schon den Eindruck, dass sie sich geliebt haben. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie mit ihrer Gegensätzlichkeit spielen. Ich bin mir eigentlich sicher, dass sie sich geliebt haben.»
«Na ja, kann sein. Ich sage mir immer wieder, dass sie sich bestimmt wahnsinnig geliebt haben, wenn ich abends im Bett lag oder wenn sie mich den Sommer über in irgendwelche üblen Feriencamps geschickt haben.»
«Bei deinem Vater bin ich mir sicher, dass er deine Mutter noch liebt.»
«Ich weiß nicht, ob man das Liebe nennen kann. Ihn frisst bloß die Angst vor dem Alleinsein auf. Und jetzt … der neue Liebhaber … er ist jünger als ich, stell dir das mal vor …»
«Ja, stimmt, das ist bestimmt nicht leicht für ihn.»
«Der Typ, der mit meiner Mutter zusammen ist … hat wahrscheinlich eine Mutter, die genauso alt ist wie sie … das ist doch auch komisch …»
«Na ja, um Deutschlehrer zu werden, muss man auch ein bisschen komisch sein», schloss Louise, um mir ein Lächeln abzuringen (sie wusste, dass ich ein erotisches Verhältnis zu dieser Sprache unterhielt).
Die Szene bei meinen Eltern hatte ein langes Gespräch zur Folge. Das tat uns seltsam gut. Wir schilderten uns unsere Vorstellungen vom Leben zu zweien, von der Liebe und vom Leben im Allgemeinen. Vielleicht war dieses Gespräch nötig, um unsere Verbindung zu besiegeln? Vielleicht muss man der Trennung eines anderen Paars beiwohnen. Der Wahnsinn meiner Eltern hatte uns erst ganz durcheinandergebracht und dann fest zusammengeschweißt. Wilder denn je zuvor waren wir entschlossen zu heiraten. Wir gaben uns der Illusion hin, der Welt (und damit auch meinen Eltern) beweisen zu können, dass die Liebe mächtig war. Es ist ein rührender Gedanke, dass diese Illusion immer wieder neu auflebt, obwohl wir immer wieder auf den Trümmern unserer Enttäuschung wandeln.
Doch dann wurden wir für das traumatische Essen bei meinen Eltern entschädigt: indem wir Louises Vater die bevorstehende Hochzeit ankündigten. Er war überglücklich. Und ich fand sogar, dass er seinen Enthusiasmus etwas dick auftrug. Er schaute mir tief in die Augen
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