Souvenirs
und redeten über dies und das. Er gab mir Tipps, wie man ein Hotel führte. Zimmervermietung und Regenschirmhandel haben zwar nicht so viel gemeinsam, aber er verfügte über einen großen kaufmännischen Erfahrungsschatz, vor allem auch, was den Umgang mit dem Personal anging. Seine Ratschläge waren mir umso willkommener, da Gérard zu seinen Kindern nach Australien geflogen war und sich überhaupt nicht mehr um den Betrieb kümmerte. Aber er hätte sich nicht beklagen können, so gewissenhaft nahm ich mich der Sache an. Ich entdeckte meine Leidenschaft fürs Praktische, für saubere Arbeit. Ich war zum Hotelier eigentlich wie geboren. Von der Literatur verabschiedete ich mich endgültig. Auch wenn Louise mir ständig mit meinen literarischen Ambitionen in den Ohren lag. Sie wollte sich mein künstlerisches Scheitern, das doch ganz offensichtlich war, nicht eingestehen. Sie sagte immer wieder, ich bräuchte unbedingt mehr Zeit für mich. Um sie nicht zu enttäuschen, mietete ich also eine Dachkammer in der Nähe des Hotels. Ich stellte einen Tisch und einen Stuhl hinein und bald auch ein Bettsofa. Von Zeit zu Zeit flüchtete ich mich in diesen Tempel meiner nicht vorhandenen Eingebungen. Eine Weile starrte ich ins Leere, dann klappte ich das Bettsofa auf und schlief ein.
Gut zwei Jahre nach unserer Hochzeit wurde Louise schwanger, wir hatten uns eben erst entschlossen, ein Kind haben zu wollen. In unsere Freude mischte sich Verblüffung über den Galopp der Ereignisse. Wir wollten ein Kind, aber wir wollten uns diesem Gedanken langsam annähern. Es sah so aus, als habe dieses Kind es wirklich eilig, zur Welt zu kommen, als habe es wichtige Dinge ans Licht zu bringen, wenn es schon beim ersten ungeschützten Geschlechtsverkehr aufkeimte. Die andere Hypothese lautete: Meine Spermien waren superstark. Zur Feier dieser Neuigkeit machten wir einfach einen langen Spaziergang durch Paris. Kein Restaurant, keine Geschenke, wir liefen einfach an der Seine entlang.[ ∗ ]
Recht bald benachrichtigten wir Louises Vater. Ich staunte nicht schlecht, als er verkündete: «Ich werde ihm seinen ersten Regenschirm schenken!» Die frohe Kunde brachte ihn anscheinend sehr aus der Fassung, und das war eben das Erste, was ihm eingefallen war. Das dachte ich zumindest. Aber von wegen: Er schenkte ihm tatsächlich einen Regenschirm, in den seine Initialen eingraviert waren. Es war für ihn eine Art, das Familienerbe weiterzugeben. Ich kapierte in dem Moment, dass er eine echte Liebe zu seinem Beruf empfand, dass er in den Regenschirmen tatsächlich sein Ein und Alles gefunden hatte. Mehrmals hatte ich Gelegenheit zu beobachten, wie es ihn in Begeisterung versetzte,wenn der Himmel sich verdunkelte. Er sagte für sein Leben gern: «Sieht so aus, als würde es bald regnen.» Es passte alles zusammen: Wenn er in den Urlaub fuhr, dann nach Irland oder zur Regenzeit nach Asien. Er konnte stundenlang über den Regen reden. Im Regen sah er den Beweis der Gemüthaftigkeit des Himmels. Den Beweis dafür, dass die Welt eine Seele hatte. Ich fand seine Sichtweise poetisch und zog vor allem den Hut davor, wie er sich seinen Beruf verklärte. Auch ich hätte Theorien über meine Hotelzimmer spinnen können. Aber ich konnte nicht erkennen, wessen Gemüthaftigkeit das hätte beweisen sollen.
Als Louise mir anvertraute, dass sie schwanger war, war ich mir hundertprozentig sicher, wir würden ein Mädchen haben. Ein Mädchen, dem wir den Namen Alice geben würden. Das langes glattes Haar haben würde. Ich sah Alice schon vor mir, wie sie Klavier spielte und in der Schule Deutsch lernte. Ich schwelgte bereits in Vater-Tochter-Beziehungsphantasien, die bei einer Ultraschalluntersuchung ein jähes Ende fanden. Ich weiß noch, es dauerte ein paar Minuten, bis ich eine Reaktion zeigte, schließlich sagte ich: «Wunderbar. Dann kann ich ja Tennis spielen mit ihm. Es ist total schwer, einen Tennispartner zu finden.» Daraufhin sagte Louise: «Du bist ja verrückt», und ich geriet in Panik, denn als sie das das letzte Mal zu mir gesagt hatte, hatte ich danach tagelang nichts mehr von ihr gehört. Ich drückte sie fest in meine Arme, damit sie nicht wieder abhaute. Ich sagte noch einmal: Es ist wunderbar. Am Abend kamen wir ins Hotel zurück (jetzt mussten wir uns ja nach einer Wohnungumsehen) und betrachteten das Ultraschallbild, als wäre es der aufregendste Actionfilm der Welt.
Natürlich mussten auch meine Eltern in Kenntnis gesetzt
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