Souvenirs
werden. Nach ihrer Scheidung war mein Verhältnis zu ihnen kompliziert geworden. Wenn ich meinen Vater traf, fragte er ständig: «Hast du was von deiner Mutter gehört?» Sie beherrschte sein ganzes Denken, das sich angesichts der drohenden Zerrüttung verkrampfte. Er sagte: «Ich versteh nicht, was in sie gefahren ist. Ich hab mich immer ordentlich um sie gekümmert. Ich war ihr ein guter Ehemann. Also ich versteh’s wirklich nicht.» An seinem Kummer war nichts Gekünsteltes, ich hatte Mitleid mit ihm. Aber gut, so war’s nun mal. Er musste sich mit der Entscheidung meiner Mutter abfinden. Ich versuchte, ihn zu trösten, so gut ich konnte, aber es half nichts. Ich besuchte ihn dann immer seltener. Als ich ihm von dem Baby erzählte, hellte sein Gesicht sich plötzlich auf. Man hätte glauben können, ich schenkte ihm einen neuen Lebenssinn. Aber seine übertriebene Freude erschreckte mich. Er fing an, komische Sachen zu sagen, wohin er es überall mitnehmen würde, es müsse unbedingt den Grand Canyon sehen, und an seinem achtzehnten Geburtstag würden sie den Eiffelturm hinauffahren und oben essen. Ich versuchte, ihn zu beruhigen: «Das Kind ist noch nicht mal da, und du schmiedest schon Pläne für seinen achtzehnten Geburtstag.» Er musste zugeben, dass das etwas voreilig war, und stellte weitere Projekte mit dem Fötus hintan. Sein Überschwang war mir umso unangenehmer, da er mit mir ja nie etwas unternommen hatte. Hatte er vor, mit meinemKind das nachzuholen, woran er in seiner väterlichen Irrfahrt vorbeigefahren war? Na gut, ich wollte mich im Moment nicht mit solchen Überlegungen belasten. Immerhin machte die Nachricht ihn glücklich, und das war doch schon mal was. Auch meine Mutter freute sich. Ich hatte befürchtet, die Ankündigung, dass sie bald Großmutter werden würde, könnte ihr den Wind aus den Segeln nehmen auf ihrem Törn Richtung Jugend. Aber nein, sie fand das super. Kurz zuvor hatte ich ihren neuen Freund kennengelernt, und er war auch da, als ich den sich abzeichnenden Nachwuchs vermeldete. Sie stupste ihn immer wieder an: «Stell dir das mal vor! Du wirst Großvater!» Mir war das furchtbar peinlich, aber ich sagte nichts. Ich senkte den Kopf und wich geschickt seinem Blick aus. Ich glaube, er fühlte sich in meiner Gegenwart genauso unwohl. Meine Mutter lachte über das Ganze in ihrem leichtfertigen Wahn, aber ich muss sagen, ich fand sie rührend darin. Sie war lebenslustig und vergnügt. Ich musste auch lachen.
Wir bezogen eine Wohnung unweit des Hotels. Das Kinderzimmer richteten wir vorerst lieber nicht ein, aus Aberglauben. Eines Sonntagmorgens hatte Louise stärkere Wehen als sonst. Der Termin war zwar erst in drei Wochen, doch wie es sich für die Zeugung verantwortlichen Hochleistungsspermien gehörte, drängte es meinen Sohn anscheinend schon eher aus dem Mutterleib. Er hatte es wohl eilig, seine grandiosen Eltern kennenzulernen. Ich rief ein Taxi, und wir fuhren ins Krankenhaus. Der Chauffeur redete auf uns ein:
«Mit Kindern hat man nichts als Sorgen, das werden Sie bald merken …»
«Aha, na toll …»
«Undankbar bis dorthinaus. Man opfert sich für sie auf, und sie stauben bloß alles ab. Vor allem die Jungen. Sie kriegen doch hoffentlich keinen Jungen, oder?»
Louise hatte starke Schmerzen und wünschte sich, dass alles gut gehen würde. Zum ersten Mal seit Beginn der Schwangerschaft erlebte ich sie so beunruhigt. Ich hielt ihre Hand und schenkte dem Chauffeur keine Beachtung, der uns mit seinem Quatsch diesen einzigartigen Moment verleidete. Wir erreichten das Krankenhaus, wo man sich Louises annahm. Eine Hebamme bestätigte, dass die Geburt unseres Sohnes unmittelbar bevorstand. Es war aber noch ein langer und beschwerlicher Weg dahin. Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, aber ich würde sagen, mindestens sechzehn Stunden. Als unser Sohn das Licht am Ende des Tunnels erblickte, stieß er einen Schrei aus. Ich wusch ihn in einem der benachbarten Räume, dann kehrten wir wieder zur frischgebackenen Mama zurück. Man legte den Säugling an ihre Brust. Louise wirkte entsetzt.
«Alles in Ordnung, mein Schatz?», fragte ich.
«Ja … alles in Ordnung.»
«Du siehst so traurig aus.»
«Ich bin bloß müde, sonst nichts.»
«Ja, ich versteh schon … du musst dich ausruhen.»
Sie deponierte das Kind in dem kleinen Inkubator, der neben ihr stand, und sagte dann:
«Kannst du mich ein bisschen allein lassen?»
«Soll ich nicht bei dir bleiben? Wenn du
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