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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Gegenstände wieder heil zu machen, und er sagt, aber er ist gerade nicht da, er ist bei Jotam, ich habe gedacht, du würdest später ankommen, und ich habe heute Vorlesungen, sie wohnen nicht sehr weit von dir, hol ihn doch dort ab, und ich unterbreche ihn überrascht, ja, ich weiß, wo sie wohnen, ich fahre gleich hin. Wenn du zu früh kommst, wird er nicht mitgehen wollen, sagt Amnon, hol ihn doch am Abend, wie üblich, und ich ignoriere seinen Vorschlag, frage vorsichtig, seid ihr gut zurechtgekommen, ihr beiden, als wären sie noch immer meine beiden Männer, und er antwortet, wir kommen immer gut zurecht, und fügt nicht hinzu, ohne dich, die fehlenden Worte ergänze ich selbst.
    Sie werden nie ganz grün sein, diese Berge, ihr Grün wird immer blass sein, wie eine Täuschung, jeden Winter erhalten die Pflanzen den Befehl, die vom Sommer verbrannten Narben zu bedecken, und kaum haben sie ihren Auftrag erfüllt, wird das Feuer wieder entzündet. Ich kurble das Fenster herunter, die Dämmerung verwirrt mich, ein warmer, trockener Wind schlägt mir ins Gesicht, wenn jetzt Sommer ist, warum geht die Sonne dann so früh unter, und wenn es um diese Stunde schon dunkel wird, warum ist es dann so warm, irgendetwas scheint hier durcheinander geraten zu sein, aber es ist eine wunderbare Unordnung, die die Fahrt auf der hügeligen Straße zu einem Abenteuer werden lässt. Der schwierige Weg nach Jerusalem hat die Abgeschiedenheit der Stadt immer bewahrt, das wussten diejenigen, die sich in ihrem Namen verschworen hatten, ihre Größe war bescheiden, ihre geheimen Wünsche waren es nicht, eine arme orientalische Marktstadt, versunken in Illusionen, einsam hinter Mauern und Toren, umgeben von den armseligen Dörfern wandernder Hirten und abschüssigen, felsigen Wegen, eine Stadt, die insgeheim von Macht und Auserwähltheit träumte.
    Neben dem Spielplatz steige ich aus dem Taxi, noch immer in dem Kostüm, das ich gestern für den Vortrag ausgewählt habe, ein brauner kurzer Rock, eine weiße Seidenbluse und darüber das passende Jackett, bis zum Morgen hatten wir im Pub am Strand gesessen, und von dort war ich direkt zum Flughafen gefahren, ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen, ich überquere die Straße wie eine gut gekleidete Touristin, für kurze Zeit aus einem fernen Land auf Besuch, und während ich die breiten Marmorstufen hinaufgehe, versuche ich, ruhig durchzuatmen, meine Haare zu ordnen, mein Verlangen wächst, ihn zu sehen, seine schwarzen Augen, die unter den dichten Augenbrauen blühen,die ausdrucksvollen Lippen, und mich ihm zu zeigen, wie ich jetzt bin.
    Scharfe Stimmen dringen plötzlich in das Treppenhaus, sie werden immer lauter, je näher ich der Tür komme, ich klopfe laut, aber sie hören mich nicht, wie sollten sie mich auch hören, wenn sie sich mit solcher Bitterkeit streiten, ein Donnersturm tobt in der Wohnung, und ich klopfe noch einmal, drücke dann lange auf die Klingel, wieder keine Antwort. Eine kalte, stechende Anspannung steigt von meinen Füßen auf, umwickelt meinen Körper wie Stacheldraht, als wäre ich ein Kind und sie meine Eltern, die sich frühmorgens in ihrem Zimmer streiten, würden sie sich diesmal für immer trennen, und ich warte erschrocken auf den Moment, der immer kommt, ein letzter Schrei, dann rennt mein Vater aus der Wohnung und knallt laut die Tür hinter sich zu, und dann läuft sie zu mir, legt ihren Kopf mit den wirren Haaren auf mein Bett und schluchzt in meinen Armen.
    Als wäre ich ihre Tochter, versuche ich, einzelne Wörter aufzuschnappen, blutige Fetzen von Wut und Kränkung, ich glaube dir nicht, höre ich Michals Stimme, so laut, als würde sie mir direkt ins Ohr schreien, überraschend grob, ich weiß, dass du lügst, ich glaube dir kein Wort, und dann antwortet er, zwar beherrscht, aber mit kalter und giftiger Stimme, ich habe die Nase voll von deinem pathologischen Misstrauen, hörst du? Mir reicht’s, ich bin nicht bereit, so zu leben, du erstickst mich, und sie schreit, dann hau doch ab, wenn es dir reicht, ich will dich nicht mehr sehen, du hast mir versprochen, dass es nicht mehr passieren wird, versprochen hast du es, und er zischt, ich habe meine Versprechen alle gehalten, was willst du denn noch von mir, ich bin nicht für deine Hirngespinste verantwortlich. Ach so, das sind also alles nur Hirngespinste? Du willst mich

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