Späte Familie
vorwurfsvollen Blick zu und sagt leise, als hätte er sich schon mit dem Urteil abgefunden, ich habe gedacht, dass du beschlossen hättest, mich zu verlassen, so wie du Papa verlassen hast.
12
Wie bist du nur auf die Idee gekommen, dass du es sein wirst, von allen Frauen ausgerechnet du, dass du ihm eine Unterkunft anbieten könntest anstelle seiner eigenen Wohnung, dass du ihm Liebe anbieten könntest anstelle der Liebe seiner Frau, ein Kind anstelle seiner Kinder, ausgerechnet du, die du nur eine halbe Frau bist, du, die du dein Haus zerstört und nichts dafür bekommen hast, du, die du schwach und krank zu ihm gebracht worden bist, was hast du ihm zu bieten? Unser abgebrochener Abend, an dem die Temperatur plötzlich abstürzte, unser gemeinsamer Teller, der blaue Keramikteller, die gerösteten Sandwiches mit Auberginen, Mozzarella und Tchina, er hat die Auberginen vorgezogen, das musst du probieren, hat er gesagt, unser Tisch, unser Regen, der sich in der Plastikplane über unseren Köpfen gesammelt hat, wir waren darunter wie unter dem Meer, unsere Zeit, die wenige Zeit, die wir miteinander geteilt haben, nur ein Abend, ein einziger Abend, der kein richtiges Ende genommen hat, begleitet mich wie ein Geschenk, das ich bekommen und sofort kaputtgemacht habe, wie Gilis rotes Auto, und das ist alles, was ich mir jetzt wünsche, die Fortsetzung jenes Abends, das, was ich schon fast in Händen hatte, und ich sehe uns dort sitzen, bis tief in die Nacht, die Plastikplane, die schwer vom Wasser über unseren Köpfen seufzt, ich sehe uns zusammen weggehen, ein bisschen betrunken, herausgelöst aus jedem Zusammenhang. Hätte ich ihm vorgeschlagen, mit mir nach Hause zu kommen, hätte ich ihm von all dem Leid erzählt, das sich in mir angesammelt hat, dannwürde sich alles auflösen, alles würde sich zum Guten wenden, ich hätte nicht umsonst gelitten.
Er hätte im Sessel gesessen und ich auf dem Sofa, mit einer Wolldecke zugedeckt, die ganze Nacht lang, diese Nacht, die nicht zum Schlafen bestimmt gewesen wäre und nicht zum Küssen und nicht für das sexuelle Verlangen, sondern zum Sprechen, das Weinen jener Nacht, die plötzlich abgebrochen wurde, die auf uns wartete bis zum Morgen wie ein in der Dunkelheit erleuchteter Palast, die verlorenen Reste dieses Weinens versuche ich wiederzufinden. Jeden Morgen, wenn ich Gili in die Schule bringe, und jeden Mittag, wenn ich ihn abhole, betrete ich angespannt den Schulhof, suche sein Gesicht unter den Gesichtern der anderen Eltern, die sich, entgegen den Sicherheitsvorschriften, am Tor versammeln, und auch ihre Locken suche ich, bereit, mich damit zu begnügen, weil mir nichts anderes übrig bleibt, als vielleicht an ihrem Gesicht zu erkennen, was in seinem Leben geschieht, und auch sie sehe ich nicht, auch nicht den Jungen, als wären sie alle vernichtet worden, als hätte ich sie mir nur ausgedacht. Wo sind sie, wohin sind sie verschwunden, haben sie mitten in der Nacht die Stadt verlassen, sind sie gleich am folgenden Tag kurz entschlossen in Urlaub gefahren, um ihre Beziehung zu retten, aber vielleicht verpasse ich sie ja immer nur um eine Minute. Wenn ich das Klassenzimmer betrete, halte ich zuerst nach Jotam Ausschau, meine Augen flattern über das Gesicht meines Sohnes, suchen vergeblich nach dem Jungen, der ihm gleicht, und erst dann kehrt mein Blick enttäuscht zu ihm zurück, ich versuche, mit einem kleinen Lächeln meine Enttäuschung zu verwischen, wie gehtâs, mein Sohn, was hast du heute erlebt?
Was ist mit Jotam, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, frage ich ein paar Tage später ganz nebenbei, undGili sagt, Jotam ist krank, und ich stürze mich gierig auf diese neue Nachricht, versuche, ihre Bedeutung zu ergründen, vielleicht rufst du ihn mal an, und fragst, wie es ihm geht, schlage ich vor, und er murrt unwillig, später, aber er ruft nicht an, und ich frage mich, wie lang die Winterkrankheit eines Kindes dauern kann, wann Jotam wieder gesund sein wird, und suche weiter jeden Morgen und jeden Mittag, und erst nach einer Woche entdecke ich beide auf der Wippe im Schulhof, sie rudern wild und laut, hoch, runter, einer dem anderen gegenüber, Dunstwölkchen kommen aus ihren Mündern, und meine Freude bei Jotams Anblick ist gröÃer als die beim Anblick meines Sohnes, er ist das Einzige, was ich bisher von seinem Vater entdeckt habe, und schlieÃlich ist
Weitere Kostenlose Bücher