Späte Familie
brauchst du seine Nummer, Mama, fragt Gili, er schaut mich scharf an, und ich sage, falls Jotam heimgehen will, es ist doch besser, seine Mutter nicht zu stören, nicht wahr? Jotam protestiert, aber ich will noch gar nicht heimgehen, und ich sage schnell, natürlich nicht, ich habe die Nummer nur zur Sicherheit wissen wollen, ich lasse sie wieder ihre Plastikfiguren hin und her bewegen und gehe zum Computer, der auf mich wartet, aber die festliche Aufgeregtheit lässt mich nicht los, um mich herum türmt sich Hoffnung, welchen Vorwand könnte ich mir ausdenken, um ihn anzurufen, vielleicht einen unvorhergesehenen Termin, entschuldige, wir müssen bald gehen, kannst du Jotam abholen, aber wenn du schon da bist, setz dich doch einen Moment, vielleicht verabreden wir uns für morgen. Das dämmrige beschlagene Fenster zieht mich stärker an als der Bildschirm, benebelt schaue ich hinaus, die Wärme der Heizung streichelt meine Glieder, und ich lege den Kopf auf den Tisch und mache die Augen zu, lausche den gedämpften Stimmen auf der anderen Seite der Wand, ich habe das Gefühl, als würde mir jemand Krümel in den Mund stecken, einen nach dem anderen, ich kaue langsam, Himbeere, Kirsche, Blaubeere, die aromatischen Düfte ferner Wälder, Vorratskörbe, Fantasiegeschichten, der süÃe Geschmack erfüllt meinen Mund, wie kann ich auf die Schreie antworten, die um mich herum zu hören sind, ich muss den klebrigen Brei schlucken, aber meine zusammengeschnürte Kehle hat die einfachsten Bewegungen vergessen, und dann wache ich auf, hebe den Kopf und sehe sie vor mir stehen, und ich murmle, was ist passiert, ist alles in Ordnung?
Wir wollen zusammen in die Badewanne, verkündet Gili feierlich, und ich schaue auf die Uhr, es ist schon nachsieben, vermutlich bin ich eingeschlafen, seltsam, dass seine Eltern sich nicht gemeldet haben, haben sie vergessen, dass sie ein Kind haben, aber vorläufig profitiere ich davon, ich lasse die Badewanne ein und helfe ihnen beim Ausziehen, prüfe heimlich die beherrschte, gespannte Nacktheit dieses Jungen, seine hervorstehenden Rippen, die Nähe dieses Körpers vergröÃert meine Sehnsucht, überall in der Wohnung trifft mich diese bissige Lust, komm jetzt, dann kann jeder seinen eigenen Sohn abtrocknen, und hinter ihren Rücken werden wir heimlich ganz neue Berührungen austauschen.
Komm jetzt, weiche mir nicht aus, schlieÃlich sucht unser abgebrochener Abend jeden Tag sein Ende, er wandert durch die StraÃen, schaut in die Fenster, versucht, uns zu vereinen, und nun, da ich mit einem Handtuch die Schultern deines Sohnes abtrockne, umgeben von weichem Dampf, habe ich das Gefühl, als wärst du neben mir, deine Finger berühren meine Finger, denn das sind wir, die sich in weiche Handtücher wickeln, zusammen haben wir bis zum Hals im warmen Wasser gelegen, der Regen rauschte auf das Dach über uns, sang sein geheimnisvolles Lied, und wir versanken im Wasser wie in einem warmen sprudelnden Bad, wir haben noch nicht miteinander geschlafen, uns noch nicht einmal geküsst, nur Wörter lieÃen wir zwischen den Schauminseln schwimmen, denn ich möchte deine Stimme alle Wörter sagen hören, kein einziges darf fehlen, die beherrschte Stimme, den sympathischen Sprachfehler, die Buchstaben, die das Ende eines Wortes dehnen, als fiele es ihnen schwer, sich von ihm zu trennen, und erst nachdem alle Wörter ausgesprochen sind, wirst du mich fragen, ob ich bereit bin, und wenn du mit mir schläfst, werde ich vor Trauer über all die Jahre weinen, in denen du nicht mit mir geschlafen hast, und vor Freude über die Jahre, die du nochmit mir schlafen wirst, und während der ganzen Zeit werden unsere Söhne träumen, die Betten nebeneinander, wie Zwillinge.
Mama, warum weinst du, fragt Gili erschrocken, und ich reiÃe mich sofort zusammen, ach, nur so, mir ist etwas eingefallen, und er fragt, etwas Trauriges? Ich wische mir mit seinem Handtuch über die Augen, nein, sogar etwas Schönes, und er wundert sich, warum weinst du dann, wenn es etwas Schönes ist? Ich habe Lust, ihn an meinem neuen, ausgedachten Glück teilhaben zu lassen, beide, ich treibe sie fröhlich vom Badezimmer zum Kinderzimmer, manchmal bekommt man Tränen in die Augen vor Glück, vor Freude, passiert euch das nie? Und Gili verkündet, mir nicht, und sein Freund pflichtet ihm wie ein Echo bei, mir auch nicht, und
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