Späte Familie
nein, sein verlockender Mund bleibt offen, entblöÃt ein Stück fleischiger Zunge.
Wohin gehst du, frage ich, und er sagt, ich komme schon zurecht, mach dir keine Sorgen, und am liebsten würde ich zugeben, ich mache mir keine Sorgen um dich, sondern um mich, meine Finger umklammern den Griff meines Koffers, gute Nacht, versuche ich mit fester Stimme zu sagen, und er mustert mich von unten nach oben und nickt schweigend, wie schön er ist mit seinen klaren Zügen, mit den dunklen Ringen um die Augen, wie Pflanzgruben um Blumen, und dann reiÃe ich mich von ihm los und laufe in die brüllende Nacht, Regen schlägt mir wütend entgegen, und innerhalb einer Sekunde bin ich klatschnass, ohne Schirm und ohne Mantel, und mit dem Regen dringen die Enttäuschung und die Frustration durch meine Kleidung, warum konnte ichdiesen Abend nicht länger auskosten, nur noch ein paar Stunden. Der Koffer, den ich hinter mir herziehe, saugt sich mit Wasser voll, er scheint sein Gewicht schon verdoppelt zu haben, heute Abend werde ich meinem Sohn ein nasses Geschenk geben, ein gebrauchtes Geschenk, Tausende von Regentropfen haben schon vor ihm damit gespielt, und ich versuche, ein Taxi anzuhalten, obwohl es gar nicht mehr weit ist, aber die Fahrer ignorieren meine erhobene Hand, der Regen peitscht auf ihre Blechdächer, und sie verschwinden wie eine Herde riesiger gelbäugiger Tiere.
Als ich das hohe Gebäude erreiche, klappern meine Zähne von der plötzlich gesunkenen Temperatur, wieder steige ich die Marmortreppen hinauf, im Treppenhaus herrscht eine drückende Stille, und auf mein Klopfen öffnet sich sofort die Wohnungstür und Michals Gesicht taucht vor mir auf, verbittert und eingefallen, ihre Augenlider sind geschwollen und ihre Haut ist fahl, aber trotz meiner groÃen Neugier halte ich mich nicht damit auf, sie zu betrachten, denn hinter ihr, auf dem Ledersofa, sitzt mit verschränkten Armen ein langgliedriger Junge mit dem zarten und traurigen Gesicht eines verbannten Prinzen, die Kränkung auf seinem Gesicht ist eine kleine Schwester der Kränkung auf ihrem Gesicht, zwei Opfer eines Treffens, das zu lange gedauert hat, das so nicht hätte stattfinden sollen. Als ich zu ihm laufe und ihn umarme, senkt er die Augen, Tränen rinnen langsam über seine Wangen, und Michal sagt in einem wütenden Ton, als müsste sie es erklären, er hat sich groÃe Sorgen um dich gemacht, wir haben dich einfach nicht erreicht, Jotam ist schon längst eingeschlafen, fügt sie aus irgendeinem Grund hinzu, und ich nehme ihn in die Arme, ich kann noch nicht einmal zu meiner Verteidigung sagen, ich war schon einmal hier, vor ein paar Stunden, gleich nach der Landung.
Entschuldigung, es tut mir schrecklich Leid, sage ich zu ihnen, ich hatte eine dringende geschäftliche Verabredung und habe nicht auf die Zeit geachtet, ich habe mich so nach dir gesehnt, Gili, verkünde ich, aber beide betrachten mich zweifelnd, und ich verabschiede mich schnell von ihr und gehe mit ihm die Treppen hinunter, sein Schulranzen pendelt an meiner nassen Hüfte, und den ganzen Heimweg lang bitte ich ihn um Entschuldigung, erzähle ihm, wie ich ihn vermisst habe, beschreibe das rote Auto, das ich für ihn gekauft habe, übertreibe dabei, sogar gröÃer als das alte, aber er weigert sich, meine ausgestreckte Hand zu nehmen. Wir gehen die stürmischen StraÃen entlang, graue Wege, die sich mit Wasser voll gesogen haben wie alte Matratzen, jeder von uns in seinen Ãrger versunken, manchmal wird der Himmel von einem Blitz aufgerissen, der sein Gesicht beleuchtet, ein Gesicht, das plötzlich länger geworden ist, das den kindlichen Charme verloren hat, an jeder Ecke erwartet uns eine Pfütze, aber ich habe schon aufgehört, ihn zu warnen, er scheint mit Absicht hineinzutreten, mit seinen kleinen FüÃen in den Turnschuhen vom letzten Jahr.
Ich will jetzt schlafen, Mama, sagt er, als wir nach Hause kommen, er will sich nicht waschen, er weigert sich sogar, das Geschenk auszupacken, trotz meines Drängens, und ich helfe ihm, die nassen Sachen auszuziehen, meine Hände sind starr vor Kälte und brennen auf seiner Haut, mein Zorn über die Gelegenheit, die ich heute Abend versäumt habe, wird immer gröÃer, wird so groÃ, dass er mir fast den Blick auf den Jungen verstellt. Als er schon im Bett liegt, die Decke bis zum Hals hochgezogen, wirft er mir wieder diesen
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