Späte Familie
geendethat, merke dir, eine Ausgrabung ist wie eine offene Wunde im Körper einer historischen Stätte, und wenn man sie nicht schlieÃt, wie es sich gehört, wird sie weiterwuchern und ihre Umgebung zerstören.
In unserem Schlafzimmer ist eine riesige Matratze zurückgeblieben, auf der ich mich ausstrecke, eine nackte Matratze, helle Samenflecken, Blutflecken in warmen Erdfarben, groÃflächige gelbliche Urinflecken, Erinnerungen an die nächtlichen Besuche des Jungen, geheime Kontinente, das ist die stumme Landkarte unserer kurzen Familienzeit. Ich prüfe zum letzten Mal den Blick aus dem Fenster, eine dunkle, fast rötliche Wolke sinkt mitten am Vormittag vom Himmel, wird gefangen von den dünnen Zweigen des toten Baums, die sie langsam, mit letzter Kraft ergreifen, und die Wipfel der Zypressen winken mir zum Abschied mit grünschwarzen Fackeln zu, wie bei einer Zeremonie am Tag der Erinnerung, zehn Fackeln zähle ich, wie ein Minjan, unsere zehn gemeinsamen Jahre, die Palmenwipfel neigen sich in plötzlicher Nervosität zur Seite, wie ein Mensch, der versucht, seinen Nebenmann von der Richtigkeit seiner Forderungen zu überzeugen, aber vergeblich, vergeblich.
Ein feuchter Dunst dringt durch das offene Fenster, gleich wird es wieder regnen, ich laufe zum Balkon, um die Wäsche abzunehmen, die ich gestern Abend aufgehängt habe, aber die Leinen sind leer, die Zimmer, an denen ich vorübergehe, sind leer, als wäre ein Dieb hier gewesen und hätte nur eine armselige Matratze zurückgelassen, von der aus man den toten Baum sieht, und wieder lasse ich mich auf sie fallen, meine Knochen ächzen, die Federn quietschen, und mir scheint, als quietschten auch die Angeln der Wohnungstür, kommen etwa Gäste, die wir einst eingeladen haben, vor langer Zeit, und jetzt stehen sie auf der Schwelle und wundern sich über die leere Wohnung, wo werde ichihnen einen Platz anbieten können, es gibt doch keine Möbel mehr, was werde ich ihnen servieren können, in den Schränken ist doch nichts mehr, worüber werde ich mich mit ihnen unterhalten, meine Kehle ist doch trocken.
Frische Flecken breiten sich auf der Matratze aus, Inseln von Tränen, nein, in dieser Wohnung wird mich kein Mensch mehr besuchen, mit einer Flasche Wein oder einem frischen Hefezopf in der Hand, noch nicht einmal der Hausherr selbst, der vorsichtig zwei Plastikbecher mit Kaffee hält, nachdem er unseren Sohn zur Schule gebracht hat, aber als ich den Blick von der Matratze hebe, sehe ich ihn, etwas gebeugt, von dunklem Licht umgeben, als trüge er eine schwarze Wolke auf dem Rücken, sein Gesicht ist eingefallen, die Augen gesenkt, Amnon Miller, es ist keine Stunde her, da haben wir uns getroffen, und wie sehr hat er sich seither verändert, ich möchte noch ein paar Sachen abholen, sagt er, als müsste er sich für die Störung entschuldigen, aber ich weiÃ, dass er gekommen ist, um sich zu verabschieden, genau wie ich, und ich höre, wie er zwischen den Zimmern hin und her geht, das Echo verdoppelt seine Schritte, wie wenig wir doch hinterlassen. Was bleibt von uns, Amnon, von unserem gemeinsamen Körper, verbirgt er sich vielleicht irgendwo auf einem himmlischen Dachboden oder im Bauch der Erde, bleibt etwas von unserer Familie zurück, wo wird die Erinnerung an unsere Familie überdauern, Gili ist doch noch zu jung, um sich zu erinnern, obwohl er sich sein ganzes Leben lang danach sehnen wird, nur wir beide, du und ich, werden dokumentieren können, was unsere Familie war, dieser dreiköpfige, dreiherzige Körper, der in der Blüte seiner Jahre getötet wurde.
Als die Matratze neben mir einen vertrauten Seufzer ausstöÃt, weià ich, dass sein Körper neben mir liegt, so wie es immer war, Nacht für Nacht, Jahr für Jahr, und wie esnie wieder sein wird, nie wieder werden wir unter dieser Zimmerdecke schlafen, von der das Trommeln nervöser Regentropfen zu hören ist, nie wieder werde ich die Hand ausstrecken und unabsichtlich sein Gesicht berühren, nie wieder werde ich seine Finger in meinen Haaren spüren, nie wieder werden wir von diesen Wänden umgeben sein, denn nicht meinetwegen und nicht seinetwegen und nicht wegen unseres Sohnes sind wir heute hierher gekommen, sondern um diesem Grab die letzte Ehre zu erweisen. Wir hätten hier leben können bis ans Ende unserer Tage und haben es nicht getan, wir hätten noch ein
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