Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
tatsächlich gern haben kann, und sei es auch nur aus Mitleid, ein bedauernswertes Mädchen, auch ihre Welt wurde plötzlich auf den Kopf gestellt, und als sie ein paarmal zu mir kommt und fragt, wie man ein Wort schreibt, helfe ich ihr gern, vielleicht willst du deine Aufgaben hier bei mir machen, schlage ich vor, ich mache ihr auf dem Tisch Platz und setze mich neben sie, lobe ihre schöne Handschrift, ihre ordentlichen Hefte, und da kommen auch Gili und Jotam zu uns, die Hände voller Spielsachen, die sie auf dem Teppich verstreuen, und ich mache für sie heißen Kakao und fülle Kekse in eine Schale, und von Zeit zu Zeit schaue ich hoffnungsvoll zur Tür, komm doch, damit du siehst, was für eine ausgezeichnete Babysitterin ich bin, schau, wie friedlich hier eine Familie zusammenwächst, ohne dich, bestimmt wirst du mich dafür belohnen, bestimmt wirst du mir meine unüberlegten Anschuldigungen vergeben, bestimmt wirst du Interesse an meinem Sohn zeigen, aber wie es der Teufel will, schlägt Maja in dem Moment, als er hereinkommt und ich zu ihm gehe und seine Wange streichle, ihr Englischheft auf und entdeckt die groben Spuren der Buntstifte.
    Wer hat in mein Heft gekritzelt, schreit sie, und sofort beschuldigt sie ihn, das war er, und Gili schreit, wieso ich, das war ich nicht, das war die blöde Jasmin, hältst du mich etwa für ein Baby? Sofort versuche ich, ihn zu beschützen,er war es nicht, Maja, die kleine Schwester eines Freundes von Gili war hier, und als ich gerade nicht aufgepasst habe, hat sie in deinem Zimmer herumgetobt, ärgere dich nicht, morgen bringe ich dir ein neues Heft mit, aber Maja lässt sich dadurch nicht beruhigen, die Schwester von einem Freund von ihm, das heißt, dass er doch schuld ist, bellt sie, wenn ihr nicht hier eingezogen wärt, wäre das nicht passiert, und ich versuche, Talja zu zitieren, so ist das in allen Familien, immer kritzelt jemand das Heft von großen Geschwistern voll, und sie sieht mich verächtlich an, als hätte ich den Verstand verloren, aber wir sind keine Familie, schreit sie mich an, oder glaubst du etwa, wir wären eine?
    Alle verstummen bei dieser Aussage, doch das Erstaunliche an ihr ist, dass sie so einfach und zutreffend ist, warum ist es mir nicht eingefallen, Talja zu korrigieren, sie auf ihren Fehler hinzuweisen, wir sind keine Familie, was sind wir dann, und er steht hilflos vor seiner Tochter, zum ersten Mal fällt mir eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen auf, obwohl sie so viel heller ist als er und ihre Gesichtszüge weicher sind als seine. Es gibt alle möglichen Formen von Familien, Maja, versucht er sie zu beschwichtigen, jetzt, da wir zusammenwohnen, sind wir so etwas wie eine Familie, und sie giftet, wozu wohnen wir überhaupt zusammen, es ist uns besser gegangen ohne sie, und schon mischt sich ihr Bruder ein, Papa, ich will auch einen Fernseher in meinem Zimmer, er wirft sich in die Arme seines Vaters, das ist nicht gerecht, dass nur Gili einen bekommt, und Oded seufzt, was ist heute bloß mit euch los? Da gehe ich nur für ein paar Stunden aus dem Haus, und schon dreht ihr durch, sein tadelnder Blick wandert zu mir, als hätte ich meinen Auftrag nicht gut ausgeführt, und dabei ist es doch gerade seine Anwesenheit, die unsere Ruhe gestört hat.
    Mama, du hast es versprochen, du hast mir einen Fernseherfür mein Zimmer versprochen, ruft Gili und drückt sich an mich, und Maja schreit, dann will ich auch einen, warum soll nur er einen haben? Jotam stimmt sofort ein, und ich will auch eine Ritterburg, warum hat er ein Geschenk für sein neues Zimmer bekommen und wir nicht? Gili weint schon bitterlich, ich habe ihn mit meiner Ritterburg spielen lassen, aber er lässt mich nicht mit seinen Sachen spielen, und ich betrachte die drei offenen, weit aufgerissenen Münder, die Worte fallen aus ihnen heraus, dickflüssig wie verdorbenes Essen, jeder erbricht sich in die Familienschüssel, und wir sitzen hilflos drum herum, und als ich Oded anschaue, auf einen teilnahmsvollen Blick hoffend, weicht er aus und presst die Lippen zusammen, und ich höre mich sagen, komm, Gili, gehen wir hier weg.
    Wohin, schreit er, es scheint ihm schwer zu fallen, sich von der lärmenden Gruppe zu trennen, und ich ziehe ihn gegen seinen Willen mit, vergesse, den Mantel zu nehmen, blind vor Enttäuschung, und wir stürzen hinaus in die Dunkelheit, die Gasse der Bußgebete

Weitere Kostenlose Bücher