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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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erstreckt sich schmal und zerbrechlich vor uns, was soll ich ihm jetzt sagen, wohin soll ich ihn bringen? Ich habe ihn mit all meinen Spielsachen spielen lassen, jammert er, und als ich mit seinen spielen wollte, hat er mich nicht gelassen, und ich nehme ihn an der Hand, der Geruch nach familiärem Abendessen dringt aus jeder Wohnung, aus jedem Fenster, und ich schlage vor, komm, gehen wir etwas essen, du hast kein Mittagessen gehabt, willst du eine Pizza? Nehmen wir sie mit nach Hause, fragt er, und ich sage, nein, wir essen sie in der Pizzeria, und er sagt, aber es macht mehr Spaß, sie zu Hause zu essen, und ich wage nicht zu fragen, welchen Ort er mit zu Hause meint, vielleicht die Wohnung, aus der wir gerade geflohen sind, verstoßen und unerwünscht.
    Schau nur, wie warm und angenehm es hier ist, sage ichund setze mich seufzend auf einen hohen Barhocker, dann helfe ich ihm auf den Hocker daneben, und er sitzt da wie ein Zwerg auf Stelzen, und als ich versuche, die allereinfachsten Worte auszusprechen, eine Pizza mit Oliven, merke ich, dass ich sie nicht herausbringe, denn aus meinen Augen strömen plötzlich Tränen, unaufhörlich und unaufhaltsam, und ich greife mir eine Papierserviette und deute mit einem Finger auf die gewünschte Pizza, und Gili schaut mich besorgt an, Mama, nicht weinen, bettelt er, dann will ich eben doch keinen Fernseher, ist doch egal, dass du ihn mir versprochen hast, ich brauche keinen Fernseher in meinem Zimmer, und ich umarme ihn, während meine Verzweiflung durch seinen erwachsenen, rücksichtsvollen Verzicht nur noch größer wird, und sage, ich weine nicht deshalb, mein Schatz.
    Warum weinst du denn dann, fragt er, und ich gebe zum ersten Mal zu, weil ich Schwierigkeiten habe, und er schweigt, betrachtet die Pizza, die ihm serviert wird, Mama, ich will zu Hause essen, mit den anderen, sagt er schließlich ernst, als wäre dies seine wohlerwogene Antwort auf mein Bekenntnis, los, kaufen wir eine große Pizza und bringen sie ihnen mit, und ich betrachte ihn erstaunt angesichts dieses plötzlichen Gemeinschaftsgefühls, das innerhalb eines Tages in ihm gewachsen ist, viel schneller als bei mir. Bist du sicher, frage ich, vielleicht essen wir doch lieber hier, du hast bestimmt Hunger, aber er lässt sich nicht beirren, stellt stolz sein gutes Gedächtnis unter Beweis, als er sagt, Maja mag Pizza mit Mais und Jotam mit Pilzen und Oded ohne alles und ich mit Oliven und du mit Tomaten, und so erweitern wir unsere Bestellung, eine große Familienpizza, die alle zufrieden stellen wird, und Gili besteht darauf, selbst den riesigen Karton zu tragen, in stolzem Schweigen geht er neben mir her, überzeugt, dass er den sich selbst auferlegtenAuftrag erfolgreich ausführen wird, er kann den Weg nur mit Mühe erkennen, aber er läuft eilig durch die feuchten Straßen, schwankt die Treppen hinauf, vielleicht ist es Angst, die ihn treibt, die Angst, allein mit mir zu bleiben, vielleicht ist ihm ein kompliziertes Zuhause immer noch lieber als ich allein.
    Drei Augenpaare sehen uns mit gespannter Erleichterung entgegen, als wir eintreten, sie stehen noch immer mitten im Wohnzimmer, wie es scheint, genau da, wo wir sie verlassen haben, Jotam macht einen Luftsprung, Pizza, schreit er, habt ihr mir welche mit Pilzen mitgebracht? Und Gili legt das duftende Paket auf den Tisch und gibt jedem sein Stück, und erst dann ist er bereit, sein eigenes zu probieren, und wir setzen uns erschöpft auf die Sofas und kauen nervös. Es scheint, als wären Gili und Jotam immer die Ersten, wenn es ums Verzeihen geht, schon setzen sie sich auf den Teppich, als hätte es nie einen Streit gegeben, und lassen Autos fahren und lachen mit vollem Mund, und danach ist es Maja, die für alle etwas zu trinken holt und vorsichtig Cola in die hohen Gläser gießt, und nur wir beide, derentwegen die drei Kinder hier zusammen sind, sitzen noch immer starr auf unseren Plätzen, wechseln weder ein Wort noch einen Blick, es ist, als ob die Entfremdung, die über Nacht gewachsen ist, uns trennt, als wäre sie ein Schandfleck, als hätten wir uns eines gemeinsam begangenen Betrugs schuldig gemacht, als hätten wir drei Kinder in die Irre geführt, und wir betrachten sie beschämt und hilflos, wen trifft die Schuld und wie schwer wird die Strafe ausfallen?

22
    Diese erste Woche ist wie eine Schlange, die mir in die Ferse beißt, an jedem Tag, der

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