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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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bewegen.
    Dein Gott freut sich deiner, wie sich ein Bräutigam über seine Braut freut … Die Stimmen der Erwachsenen versuchen, die Stimme der Lehrerin zu begleiten wie eine langsame Karawane, gehorsam, jedoch ohne Begeisterung, während die Kinder schon die Geduld verlieren und kichern. Komme in Frieden, Krone des Gatten, in Freude und Frohlocken inmitten der Gläubigen, des Gott eigenen Volkes, komme, Braut, komme, Braut … Für einen Moment scheint es, als wären wir bei einer Hochzeit gelandet, ausgerechnet jetzt, am Schabbat unserer Trennung, sind wir dazu verurteilt, gefühlvolle Hochzeitslieder zu singen, und die Lehrerin bestätigt meinen Verdacht mit ihrer lauten Stimme, sie gibt den ratlosen Kindern ein Rätsel auf, wenn Königin Schabbat die Braut ist, wer, glaubt ihr, ist dann der Bräutigam?Ich weiß, ich weiß, Gott, sagt ein Mädchen mit zerzausten roten Haaren, und die Lehrerin sagt, nein, nicht Gott, hört zu, nachdem die Welt erschaffen war, beschwerte sich die Königin der Tage bei dem Ewigen, dass sie keinen Partner habe, während die anderen Tage der Woche einen hätten, und der Herr beruhigte sie und versprach ihr, das Volk Israel werde ihr Partner sein, ihr Bräutigam.
    Wie kann das sein, Gili schaut mich zweifelnd an, so viele Bräutigame für eine Braut? Aber die Lehrerin hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf, sie scheint diese Geschichte schon dutzendfach erzählt zu haben, sie fährt schnell fort, wisst ihr, vor vielen hundert Jahren trugen die Rabbiner weiße Kleidung und zogen auf das Feld, um die Königin Schabbat willkommen zu heißen, sagt sie und erhebt sich, auf ihrer Oberlippe glänzen Schweißtröpfchen, vielleicht ziehen wir jetzt auch hinaus und sehen, wer als Erster die Königin Schabbat entdeckt. Die meisten Kinder reagieren sofort auf die Herausforderung, sie verlassen die Familiendecken und sammeln sich um ihre Lehrerin, ich versuche, den zögernden Gili anzutreiben, der sich an mich schmiegt und seinen Kopf in meinen Schoß legt, geh, du musst mit den anderen gehen.
    In wildem Trab laufen die Kinder an ihm vorbei wie fröhliche Fohlen, gleich werden sie ihn auf ihrer Flucht zertrampeln, und da bleibt einer vor ihm stehen, sein zartes Gesicht erwachsen und ruhig über den schmalen Schultern, komm, Gili, sagt er, ohne zu lächeln, komm mit mir, und plötzlich verfliegt seine Niedergeschlagenheit, sogar dass wir keine Decke haben, ist nicht mehr wichtig, und als wäre er auf einmal ein anderes Kind, springt er auf die Füße, vergisst die traurige Andersheit unserer Familie und läuft mit seinem neuen Freund Jotam los, um die Königin Schabbat zu treffen, die wunderschöne Braut, die jede Woche wiederihrem Bräutigam angetraut wird, und als mein Blick Michal findet, sehe ich, dass sie zu mir herüberschaut, vermutlich hat sie ihren Sohn zu uns geschickt, und mit meinen Lippen forme ich einen Dank. Zu meiner Enttäuschung reagiert sie nicht darauf, sie starrt vor sich hin, mit leicht geöffnetem Mund, sie scheint meine für sie bestimmten Lippenbewegungen nicht wahrzunehmen, aber über ihre blonden Haare hinweg wirft mir ihr Mann einen fragenden, fast entrüsteten Blick zu, als würde ich mit meinen Zeichen ihre Ruhe stören, und ich wende schnell den Kopf ab, bemüht, nicht mehr zu ihnen hinzuschauen.
    Und die ganze Zeit ist er hinter mir, schweigend, was nicht seine Art ist, und ich achte darauf, nicht weiter nach hinten zu rutschen und mich mit dem Rücken an seine Knie zu lehnen, wie es die meisten Frauen um mich herum tun, sondern eine aufrechte und starre Haltung zu wahren, als wäre dieser Mann gar nicht da, dessen Atem ich an meiner Schulter spüre, und die Luft, die sich in seinen Lungen sammelt, bevor sie warm und stickig aus seiner Kehle gestoßen wird, erweckt meinen Widerwillen, bis auf meiner Haut kleine Nadeln des Widerstands wachsen, ich kann spüren, wie er hinter meinem Rücken forschend und hochmütig seine Umgebung beobachtet, auf dem Rückweg wird er die primitive Zeremonie tadeln, die lächerlichen Lieder, und was das überhaupt solle, die Königin Schabbat zu suchen, was für ein Blödsinn, ich habe dir gesagt, du sollst ihn nicht in dieser Schule anmelden, aber ich muss ihm schon nicht mehr zuhören, ich muss mir nicht mehr anschauen, wie schöne Erinnerungen beschämt aus Gilis Gesicht verschwinden, ich muss

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