Späte Familie
Kompliziertheit zu gewöhnen, die zu einem Teil meines Lebens werden wird, ich werde meinen Widerwillen ebenso aushalten müssen wie Gilis Liebe zum Gegenstand meines Widerwillens, ich werde gezwungen sein, Amnon als den geliebten Vater meines Sohnes zu akzeptieren und ihn trotzdem von mir fern zu halten, und ich habe das Gefühl, als müsste ich mich dafür entweder verdoppeln oder teilen, und diese neue Aufgabe ist so schwer, dass sich ein angstvoller Schlaf auf mich senkt, denn noch habe ich alles in der Hand und kann trotzdem nichts ändern, denn dieses vertraute familiäre Rauschen, vertrauter als alles andere, wird schwächer und schwächer gegenüber dem Jubel des neuen Lebens, gegenüber den fröhlichen starken Klängen, die von ihm ausgehen wie von einem Ballsaal im Bauch eines Schiffes.
Zitternd vor Kälte, wache ich mitten in der Nacht auf, und vor meinen Augen flieÃt ein Strom, grau und trotzdem aufwühlend, immer wird mich der Anblick eines Flusses aufwühlen, der Anblick lebendig flieÃenden Wassers. In die europäische Hafenstadt, in die ich anlässlich des letzten Kongresses gefahren bin, nahm ich das Echo von wütenden Sätzen mit, die mir viel zu oft entgegengeschleudert wurden, um noch eine Bedeutung zu haben, hör auf, mir zu drohen, du bedrohst nur dich selbst, wer bist du überhaupt, ich habe die Nase voll von deinen Klagen, ich habe genug von dir, merk dir, dass ich nicht bereit bin, so weiterzumachen, ich werde einfach aufstehen und gehen, diesmal meine ich es ernst. Vor dem breiten Fenster des eleganten Hotels war der Fluss zu sehen, eine riesige Eisenbrücke, die sich über ihn spannte, und daneben noch eine Brücke, kleiner als die erste,wie ein ungenaues Spiegelbild, und über beide Brücken floss ein erbarmungsloser Verkehr, Fahrzeuge in wildem Tempo, StraÃenbahnen, die einen Arm nach oben streckten, zerrissen das Spinnennetz der Hochspannungsleitungen, und auf der anderen Seite des Flusses die bunten Fassaden von Häusern, schmal und zerbrechlich, und auf dem Fluss schwammen Schiffe, als schwebten sie über dem Wasser. Wurde dort der Entschluss geboren, plötzlich, aber seit langem vorhersehbar, ist dort das Urteil gefallen, angesichts dieses Flusses, der mit solch überraschender Leichtigkeit die Last der Schiffe trug? Die Stimmen des letzten Streits vor meiner Abreise verfolgten mich, schnaubend und bitter, ich hatte das Gefühl, als stünde er noch vor mir, aggressiv, anklagend, hässlich vor Zorn, nein, das war nicht der Mann, den ich gewollt hatte, das war nicht das Leben, nach dem ich mich sehnte, und sogar ich selbst war erschreckend anders als die Frau, die ich hatte sein wollen, etwas zwischen uns war irreparabel zerbrochen, konnte es sein, dass ich mich mit alldem abfinden musste, dass ich nie mehr ein anderes Leben führen konnte, dass es so schnell zu spät geworden war?
Leise bewegt sich seine Silhouette von einem Zimmer ins andere, er macht die Lichter aus, die Wohnung ist jetzt dunkel und still, wenn jetzt drauÃen jemand vorbeigeht, wird er sich sicher vorstellen, dass hier eine Familie ruhig schläft, unter wärmenden Decken wegen des Herbstes, die Schlafzimmertür fällt hinter ihm wie selbstverständlich ins Schloss, und ich bin hier, auf dem Sofa, so weit weg von ihnen, als befände ich mich noch in dem Hotel am grau glitzernden Fluss, auf einem anderen Erdteil. Ob so mein Leben aussehen würde, fragte ich mich damals, ob so die Träume meiner Jugend dahinstarben, sie werden ihren Atem mit einem unhörbaren Seufzer aushauchen, Gili wird wachsen,er wird anmutig den Auftrag abwerfen, den ich ihm auferlegt habe, die Lücke zu füllen, deren GröÃe ich mir nicht habe vorstellen können, und was ist dann, ein neues Kind, eine neue Ausgrabung, eine neue Reise? Eine neue Liebe, die im Geheimen blüht, wie ein Alpenveilchen in den Felsen, schnell vergänglich, nur für ein paar Wochen? Ja, verspreche ich den Schiffen auf dem Fluss, es ist noch nicht zu spät, ich kann noch immer auf mehr hoffen, und ich öffne das Fenster und verkünde mit lauter Stimme, als wollte ich ein groÃes Publikum überzeugen, das mich vom anderen Flussufer aus betrachtet, es ist aus, meine Damen und Herren, es ist tot und vorbei, für immer aus und vorbei.
3
Gesang empfängt uns, zögerlich wie ein Gebet, das nicht erhört wird, das mit schlaffen Fingern an die
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