Späte Heimkehr
Tee ein«, sagte seine Mutter. Barney strahlte Shannon an. Sie lächelte bedeutungsvoll zurück und genoss sichtlich, dass er sich so freute.
»Erzähl, was gibt's Neues bei dir? Freust du dich, wieder hier zu sein? Hast du vor, länger zu bleiben?«, befragte er Shannon.
»Diesmal bleibe ich, Barney. Keine leichtfertigen Kaprizen mehr, wie mein Vater sagen würde. Ich hatte eigentlich überlegt, für einige Zeit ins Ausland zu gehen, aber Dad findet, ich sollte allmählich sesshaft werden.«
Enid reichte Barney die Teetasse. »Shannon ist viel herumgekommen. Sie erzählte gerade sehr interessant von Neuseeland«, sagte seine Mutter und reichte Shannon die Gebäckschale.
Shannon knabberte an einem Keks und betrachtete den jungen Mann, den sie schon ihr ganzes Leben lang kannte. Er war immer schon ihr Freund gewesen, schon in ihrer Kindheit waren sie gemeinsam auf Partys gegangen, und in ihrem Hinterkopf war immer der Gedanke gewesen, dass Barney und Amba daheim auf sie warteten – falls nicht ein irrsinnig reicher und aufregender Ausländer oder ein Filmstar um ihre Hand anhielt. Zugegeben, sie war nicht bis über beide Ohren in ihn verliebt. Barney war sicher nicht der Traumprinz ihrer Jungmädchenträume – aber ein zuverlässiger, süßer und durchaus kultivierter australischer Junge vom Land. Als sie ihn jedoch jetzt so unter gesenkten Wimpern musterte, während er in seiner Tasse rührte, musste sie zugeben, dass sie in dem Jahr ihrer Abwesenheit vergessen hatte, wie attraktiv und charmant er war. Oder wusste sie ihn jetzt etwa nur besser zu würdigen, nachdem sie ihn mit anderen Männern vergleichen konnte, die sie kennen gelernt hatte?
Barney machte sich ebenfalls Gedanken über Shannon. Ihre modische Kleidung und die neue Frisur verliehen ihr zweifellos einen Hauch von Glamour und Welterfahrenheit. Dass sie so stark geschminkt war, mochte er eigentlich nicht, und er dachte sofort an Abbys natürliche Schönheit. Die Erinnerung daran, wie sie mit zurückgebundem Haar den Scherschuppen gefegt hatte, wie sie nach ihrem Sturz ins Wasser mit noch feuchtem Haar verschämt vor ihm stand, wie sie fröhlich lachend den Hühnern nachjagte oder mit ihren Geschwistern herumalberte, stand in krassem Gegensatz zu Shannons zwar makellosem, aber künstlichem Äußeren. Ihm wurde klar, dass dieser Eindruck auch viel mit Persönlichkeit zu tun hatte. Abby war ungekünstelt und immer zuvorkommend und freundlich. Dass Shannon ziemlich verwöhnt war und dementsprechend launisch sein konnte, wusste er aus eigener Erfahrung.
Er spürte, dass Shannon ihn ansah, lächelte und fragte rasch: »Und was hast du als Nächstes vor, Shannon?«
»Ich dachte an Springreiten. Dad hat mir ein wirklich fabelhaftes Pferd gekauft.«
»Das klingt ja sehr spannend, Shannon«, sagte Enid mit gespieltem Interesse und kraulte dabei die beiden Hunde, die zusammengerollt neben ihr lagen. »Möchtest du noch etwas Tee?«
»Nein, vielen Dank. Es war sehr nett bei Ihnen, aber ich sollte mich allmählich auf den Weg machen.« Sie erhob sich und griff nach ihrer Umhängetasche. »Danke für den Tee, Mrs. Holten, und grüßen Sie doch bitte Ihren Mann von mir.«
»Ich bringe dich noch zum Wagen«, bot Barney an und folgte ihr nach draußen.
Er öffnete die Fahrertür ihres neuen Holdens, und Shannon setzte sich hinter das Steuer, wobei sie zuerst die Falten ihres weiten Rocks zusammenraffen musste. Barney schloss die Tür und beugte sich ins offene Wagenfenster.
»Meinst du nicht, dass du das Leben hier jetzt ziemlich langweilig finden wirst?«, fragte er.
»Du hast dich doch auch wieder daran gewöhnt«, entgegnete sie lächelnd. »Freust du dich denn, dass ich wieder da bin? In Sydney hast du mich ja trotz deiner Versprechungen kaum besucht. Du warst allerhöchstens zweimal da.«
»Ich wollte dir eben nicht im Weg stehen«, Barney grinste.
»Ich bin froh, dass wir wieder Nachbarn und Freunde sind. So wie wir es beinahe unser ganzes Leben lang waren«, sagte Shannon leise. »Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass wir uns richtig kennen lernen.« Barney gab darauf keine Antwort.
»Dann bis bald«, sagte er, als sie den Wagen anließ.
»Hoffentlich.« Sie winkte ihm zu und gab beim Wegfahren mehr Gas als nötig. Barney hoffte, dass sein Vater nicht im Haus war und nicht hörte oder sah, wie der Kies unter den Weißwandreifen des Holdens aufstob.
Seit seiner Kindheit hatte Shannon durch ihre nachbarschaftlichen, familiären und
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