Späte Heimkehr
gesellschaftlichen Verbindungen fest zu seinem Leben gehört. Obwohl er sich über das Wiedersehen freute, verspürte er keine übertriebene Begeisterung. Sie war ihm vertraut, und sie verstanden sich gut. Es gab nur sehr wenige junge Frauen, die seine Mutter zum Tee bitten würde. Die Farm der Pembertons lag in direkter Nachbarschaft zu Amba, und das war ein entscheidender Grund für die enge Beziehung zwischen den beiden Familien. Shannon würde nach ihrer Heirat zu ihrem zukünftigen Mann ziehen, ihr Bruder erbte später einmal Anglesea. Aber natürlich sprach man in der Gegend darüber, dass die beiden Familien ihren Besitz zusammenlegen und beträchtlich vermehren könnten, sollten Shannon und Barney eines Tages beschließen zu heiraten. Nicht, dass es an Interessenten für Shannon gemangelt hätte, ihr Werdegang war genauestens verfolgt worden. Unter den begüterten Familien mit Söhnen und Töchtern im heiratsfähigen Alter wurde die Heiratspolitik mit demselben Ernst betrieben wie in den Kreisen des Hochadels.
Abby schwatzte noch etwas mit Colleen und Shirley, bewunderte ihre selbst gebastelten Puppen aus Papier, ließ sich erzählen, wie Fred, der Collie, die Hühner zusammengetrieben hatte, als seien sie eine Schafherde, und erfuhr, dass sie beim Schulkonzert mitmachen durften. Sie stellte sich auf den Rand des unteren Betts, um die oben liegende Shirley auf die Stirn zu küssen, strich Colleen noch einmal übers Haar, sagte dann gute Nacht und löschte das Licht.
Brian lag schon in tiefem Schlummer, während Kevin noch im Bett saß und zum zehnten Mal seinen Lieblingscomic las.
Abby ließ sich am Fußende seines Betts nieder. »Und, was ist bei dir Spannendes passiert?«
»Dad bringt mir jetzt Autofahren bei. Wir üben hier auf der Farm.«
»Mensch, das ist ja eine tolle Nachricht. Ich verlass mich aber darauf, dass du dich an die Regeln hältst und nicht auf den Highway rausfährst. Wenn du dann erst einmal losbrausen kannst, wirst du bestimmt bald auch hinter den Mädchen her sein.«
Kevin senkte den Blick und nestelte an seiner Decke herum. »Woher weiß man eigentlich, wie das mit den Mädchen geht, Abby? Die anderen Jungs ärgern sie immer – manchmal sind sie sogar richtig gemein und stecken ihre Zöpfe in die Tintenfässer und so –, aber die Mädchen kichern immer bloß, und ich glaube, es gefällt ihnen, auch wenn sie so tun, als wären sie sauer.«
»Was meinst du damit, was willst du über Mädchen lernen?«, fragte Abby ihn behutsam.
»Ein paar von den Jungen haben über einen Film gesprochen, den sie gesehen haben, und haben gesagt, dass er dämlich ist, weil sie darin so viel rumknutschen und so Sachen, die alles verderben. Ich hab mir nur überlegt … na ja, also woher soll man eigentlich wissen, wie das mit dem Küssen geht, Abby?«
Abby lächelte ihn liebevoll an. »Du meinst, wie man es macht, dass einem die Nase nicht im Weg ist, und wie man die Lippen bewegt? Das habe ich mich früher auch immer gefragt. Ich bin natürlich keine Expertin, Kev«, warnte sie ihn, »aber es ist wie bei so vielen Dingen, über die man sich Sorgen macht – wenn es so weit ist, stellt man komischerweise fest, dass es ganz von selbst klappt. Wenn du ein Mädchen kennen lernst, das du küssen möchtest, wirst du finden, dass es ganz einfach ist.«
Erleichtert, dass seine Frage nicht in ein langes peinliches Gespräch gemündet hatte, fand Kevin sich mit ihrer Erklärung ab und dachte im Halbschlaf darüber nach, ob er seine Lieblingsmurmeln nun gegen die Superman- und Prinz-Eisenherz-Hefte von Ted Johnston tauschen sollte oder nicht.
Nachdem Abby auch Kevin gute Nacht gesagt hatte, dachte sie noch etwas über die Unterhaltung nach und fragte sich flüchtig, wie es wohl wäre, Barneys lächelnde Lippen zu küssen. Abbys Kusserfahrung war sehr begrenzt: Es waren kurze und ungeschickte Küsse gewesen, ausgetauscht in der Schwärze eines Kinosaals oder in einer dunklen Ecke bei Tanzveranstaltungen. In Gilgandra hatte es nur einen Jungen gegeben, der ihr etwas bedeutete. Einen jungen Mann, der sich als Wanderarbeiter auf Schaffarmen verdingte und sich später auf der Obstplantage seiner Eltern in Victoria niederlassen wollte. Er war so schüchtern gewesen, dass sie sich schließlich vorgebeugt und ihm ihr Gesicht entgegengehoben hatte, sodass er der Verlockung ihrer süßen Lippen nicht widerstehen konnte. Alles war genauso gewesen wie in den Büchern – ihre Knie hatten gezittert, und ihr
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