Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
ELA . Daraufhin erklärt Asmussen, er müsse Rücksprache mit seinem Minister halten, eine Lösung noch an diesem Abend aber sei unmöglich.
Josef Ackermann, wie die anderen Anwesenden über das lange Fernbleiben der Regierung ohnehin schon reichlich aufgebracht, platzt der Kragen. Wenn der Schweizer richtig böse ist, wird er nicht laut, sondern ganz leise und eisig. Er verlässt die Runde mit dem Hinweis, sein Haus jetzt darauf vorbereiten zu müssen, dass am nächsten Morgen keine Bank einer anderen mehr Geld leihen werde. Es ist Sonntagabend halb sieben. Die Finanzwelt steht erneut am Rande des Abgrunds.
Gegen sieben Uhr klingelt mein Mobiltelefon. Ich wusste, dass übers Wochenende eine Rettungsaktion für die HRE ansteht, und bin deshalb schon am frühen Sonntagnachmittag von Köln, wo meine Familie lebt, in meine Zweizimmerwohnung im Schatten der Deutsche-Bank-Türme im Frankfurter Westend zurückgekehrt. In der Leitung ist Josef Ackermann.
Wie immer fragt er: »Stör’ ich?« Nie kam mir diese Höflichkeitsfloskel seltsamer vor als in diesem Augenblick. Wie immer verneine ich die Frage. Ständige Erreichbarkeit ist eine Selbstverständlichkeit in dieser Position. Wenn es wirklich einmal sehr stört, nehme ich den Anruf nicht an und melde mich dann schnellstmöglich selbst.
Schon bei den ersten Worten des Schweizers merke ich, dass die Dinge nicht gut laufen. Er ist kurz angebunden, durch und durch geschäftsmäßig. Wie ein Pilot, der vor dem Start seine Checkliste abarbeitet. Die Regierung verweigere sich einer Lösung, sagt er. Am nächsten Tag werde womöglich der gesamte Zahlungsverkehr in Europa zusammenbrechen. Ich solle mich schon mal darauf einstellen und für die Kommunikation des Hauses entsprechend Vorsorge treffen.
Mir schießen tausend Fragen durch den Kopf, auf die ich noch keine Antwort weiß. Welche Botschaften müssen wir am Morgen für das Publikum parat haben? In Deutschland. In anderen Ländern. Welche für die Mitarbeiter in den Filialen? Was sagen wir der gesamten Belegschaft weltweit? Welche meiner Mitarbeiter muss ich im Fall der Fälle bis wann alarmieren und zusammenziehen? Wer in den Fachabteilungen kann schnell die nötigen Auskünfte geben? Doch zugleich spüre ich, dass Josef Ackermann die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat. »Uns bleiben noch gut sechs Stunden«, sagt er, bevor er auflegt.
Tatsächlich werden die Bankenvertreter im Laufe des Abends wieder in die Lurgiallee zurückgerufen. Der Schweizer informiert mich kurz, dass weiterverhandelt wird. Um Viertel vor elf am Sonntagabend geht der Krimi in die nächste Runde. Jetzt sind es nur noch zwei Stunden bis Ultimo. Staatssekretär Asmussen hat in der Zwischenzeit in einer Schaltkonferenz mit seinem Chef in Bonn sowie dem Berliner Kanzleramt telefoniert. Die Bundesregierung sei zu einer Bürgschaft bereit, verkündet er nun: Eventuelle Verluste müssten die Banken zu 55 Prozent übernehmen – in unbegrenzter Höhe.
Ackermann lehnt das Angebot nach kurzer Absprache mit seinen Kollegen von den anderen Geldhäusern rundheraus ab. Wenn die beteiligten Institute in diesem Maße Verlustrisiken übernähmen, würden ihre Ratings deutlich fallen und die eigene Refinanzierung wegbrechen, sagt er. Das könne sich gerade in der jetzigen Situation niemand leisten. Stattdessen bietet er an, das maximale Verlustrisiko der Banken von bisher zwei auf nunmehr sieben Milliarden aufzustocken.
Asmussen erklärt, er könne das Angebot der Regierung nicht nachbessern. BaFin-Chef Sanio beauftragt daraufhin seine zuständigen Mitarbeiter, Moratorien für die deutschen HRE -Töchter vorzubereiten. Der Staatssekretär telefoniert ein weiteres Mal mit dem Minister. Als er in den Verhandlungsraum zurückkommt, erklärt er für die Bundesregierung: Verlustrisiko halbe-halbe Bund und Banken, kein Deckel. Dies sei auch mit der Kanzlerin abgestimmt. Es ist jetzt 23 Uhr 30 .
Die Bankenvertreter empfinden das praktisch unveränderte Angebot als Affront. Kurz vor Mitternacht scheint die Rettung der HRE endgültig gescheitert. Bundesbankpräsident Weber informiert die irische Notenbank und EZB -Präsident Trichet, der am Nachmittag bereits selbst die Bundesregierung bekniet hatte, die Bank aufzufangen. BaFin-Chef Sanio ruft die HRE -Spitze, die sich während der gesamten Verhandlungen in Nebenräumen aufgehalten hatte, herbei, informiert sie über das Scheitern und fordert sie auf, die nötigen rechtlichen Schritte zu unternehmen.
Josef Ackermann
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