Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Titel: Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Baron
Vom Netzwerk:
kann es nicht fassen, dass andere Länder Hunderte von Milliarden zur Rettung von Banken einsetzen, um die Weltwirtschaft vor dem Totalabsturz zu bewahren, die Regierung in Berlin sich aber derart uneinsichtig und hartleibig gibt. Er ist schon auf dem Weg zu seinem Wagen, als sein Mobiltelefon klingelt. Es ist der Finanzminister. Der Deutsche-Bank-Chef macht Steinbrück eindringlich den Ernst der Lage klar. Der zeigt sich beeindruckt und sagt, er werde noch einmal mit der Kanzlerin sprechen. Ackermann hastet mit der Nachricht zurück in die Runde, möglicherweise gebe es doch noch eine Lösung. Bundesbankpräsident Weber ruft erneut die irische Notenbank an und bittet sie, noch nichts zu unternehmen, es werde weiter verhandelt.
    Viertel vor eins am Montagmorgen, in wenigen Minuten eröffnet die Börse in Tokio den Handel, klingelt wieder das Mobiltelefon des Deutsche-Bank-Chefs. Diesmal ist es die Bundeskanzlerin. Angela Merkel offeriert den Banken zum ersten Mal einen Verlustdeckel – bei zehn Milliarden Euro. Nach kurzem Feilschen einigen sich die beiden schließlich in der Mitte, bei 8 , 5 Milliarden Euro. Der besseren politischen Optik wegen wird zudem die Lastenverteilung beim Verlustrisiko bis zu dieser Höhe auf 60 Prozent Finanzwirtschaft, 40 Prozent Bundesregierung verschoben. Der Deutsche-Bank-Chef, der den Kompromiss mit der Kanzlerin ohne Mandat seiner Bankerkollegen abgemacht hat, will deren Einverständnis einholen und dann zurückrufen.
    Als der Schweizer von der mit Merkel gefundenen Lösung berichtet, bleibt den anderen kaum etwas anderes übrig, als schweren Herzens zuzustimmen. Zeit für Diskussionen gibt es nicht mehr, die Alternative erscheint gar zu schrecklich. Ackermann informiert die Regierungschefin: Die HRE ist vor dem Zusammenbruch bewahrt. Buchstäblich in letzter Minute.
    Zehn nach eins, die Märkte in Australien und Japan sind bereits geöffnet, geben Bundesbank und BaFin eine gemeinsame Presseerklärung heraus. Kurz zuvor bekomme ich eine SMS von meinem Chef: »Wir haben einen Deal«. Erleichtert stelle ich meine Vorbereitungen ein und gehe zu Bett.
    Doch die Nachtruhe will sich nicht gleich einstellen. Lange noch muss ich darüber nachdenken, wie nahe Glück und Unglück, Alltag und Katastrophe im Leben beieinander liegen und wie wenig der Normalbürger in der Regel davon mitbekommt. Als Josef Ackermann und ich am nächsten Morgen zur gewohnten Zeit wieder miteinander telefonieren, klingt seine Stimme müde, aber aufgekratzt. Er weiß, er hat in der Nacht zuvor Finanzgeschichte geschrieben: »Das war verdammt knapp. Wir hätten jetzt einen Meltdown weit über Deutschland hinaus.«
    Eine Kernschmelze erlebt so nur die HRE -Aktie, die seit Jahresbeginn schon zwei Drittel ihres Wertes verloren hatte. Sie bricht noch einmal um drei Viertel ein. Finanzminister Steinbrück kündigt vor dem Haushaltsausschuss des Bundestags eine »geordnete Abwicklung« der Bank an, was allerhand Irritationen auslöst und BaFin-Chef Sanio sogar zu einem Dementi veranlasst.
    Später versucht die Regierung in Berlin, ihr langes Fernbleiben von den Rettungsgesprächen und ihre starre Haltung bis kurz vor Schluss als bewusste Verhandlungsstrategie zu verkaufen. Man habe im Interesse des Steuerzahlers hart mit den Banken gepokert. Josef Ackermann und anderen Teilnehmern der Krisensitzungen stellt sich das allerdings anders dar: Sie erzählen übereinstimmend, dass die Regierung schlicht lange Zeit nicht verstanden habe, was an diesem Wochenende auf dem Spiel stand. »Ich glaube, dass die Politik die ganze Tragweite damals nicht gesehen hat«, so der Deutsche-Bank-Chef vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur HRE im Juli 2009 . »Wenn man taktisch gespielt hat, hat man es sehr weit getrieben. Das war gefährlich. Ich kann nur sagen: Wenn Frau Merkel mich um Viertel vor eins nicht mehr erreicht hätte, dann wäre es zu spät gewesen. Wir hatten schon unsere Zelte abgebrochen.«
    Nach fast einer Woche weiteren Feilschens und einer fast elfstündigen Schlusssitzung in den Räumen der Bundesbank in Frankfurt in der Nacht von Donnerstag, dem 2 . Oktober, auf Freitag, den 3 . Oktober, einigt sich die Finanzbranche schließlich, wie die 8 , 5 Milliarden Ausfallgarantie verteilt werden sollen: 4 , 5 Milliarden schultert die Einlagensicherung der Privatbanken, wovon über 1 , 1 Milliarden allein auf die Deutsche Bank entfallen. Den Rest teilen sich Sparkassen und Landesbanken, Versicherungen, Volks- und

Weitere Kostenlose Bücher