Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
erklären.
Nach dem Kollaps von Lehman und der Beinahe-Pleite der AIG hängt das Schicksal des weltweiten Finanzsystems an einem seidenen Faden. Die Lage auf den Finanzmärkten ist aufs Äußerste angespannt. Ein Kollaps der HRE würde wohl das endgültige Aus bedeuten.
Die HRE ist etwa so groß wie die fallierte US -Bank und achtmal größer als die IKB . Sie ist, auch durch die Depfa mit Sitz in Irland, international stark vernetzt. Durch den Ausfall des größten Emittenten von Pfandbriefen, die vor allem vom deutschen Mittelstand genutzt werden, würden auch die letzten noch funktionierenden Refinanzierungsmöglichkeiten verstopft. Der Geldmarkt, zumindest in Europa, käme endgültig zum Erliegen. »Wir hätten Verwerfungen bekommen«, so Josef Ackermann später als Zeuge vor dem HRE -Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags, »die weit über Deutschland hinausgegangen wären und auch das Euro-System wahrscheinlich in der Substanz getroffen hätten«.
Zu den HRE -Gläubigern, die teilweise in großem Umfang unbesicherte Geldmarktpapiere der Bank halten, zählen neben Zentralbanken, Großbanken und Fondsgesellschaften rund um die Welt deutsche Landesbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Bundesländer und Gemeinden, die Bahn, Kirchen, Rundfunkanstalten, Versorgungswerke, Berufsgenossenschaften und Pensionskassen. Die finanziellen Verwüstungen einer Pleite wären enorm. Auf den Einlagensicherungsfonds der deutschen Banken – durch die Rettung der IKB und die aus der Lehman-Pleite zu erwartenden Forderungen ohnedies schon extrem strapaziert – kämen neue Milliardenforderungen in zweistelliger Höhe zu. Ein allgemeiner Ansturm der Sparer und Anleger auf die Geldhäuser wäre wahrscheinlich. »Die HRE war für uns eindeutig ein systemrelevanter Fall«, so Ackermann.
In einer Regierungserklärung vor dem Parlament am Donnerstag, dem 25 . September, markiert Finanzminister Steinbrück gleichwohl nach außen den starken Mann. Das deutsche Bankensystem sei sicher, es habe sich als deutlich robuster erwiesen als das amerikanische, ein Rettungspaket wie in den USA sei »in Deutschland weder notwendig noch sinnvoll«, sagt er. Ackermann kann darüber nur den Kopf schütteln. »Der wird sich noch wundern«, brummt er. Tatsächlich muss Steinbrück sich schon bald eines Besseren belehren lassen.
Für 15 . 30 Uhr an diesem Tag sind die Spitzen der deutschen Banken- und Versicherungswirtschaft zusammen mit Bundesbank und BaFin zu einem schon länger anberaumten Routinetreffen ins Bundesfinanzministerium nach Berlin geladen. Die allgemeine Aussprache im großen Sitzungssaal des Ministeriums dreht sich um die zugespitzte Situation auf den Finanzmärkten seit dem Fall von Lehman Brothers. Die HRE ist kein Thema. Nur wenige Eingeweihte wissen um deren Probleme, und die wollen sie in der großen Runde natürlich nicht ansprechen. Schon nach gut einer Stunde ist die Sitzung beendet, die Teilnehmer verlassen den weitläufigen Ministeriumsbau, Hermann Görings früheres Reichsluftfahrtministerium.
Josef Ackermann, der Präsident des Bankenverbands Klaus-Peter Müller, Commerzbankchef Martin Blessing und Allianz-Chef Michael Diekmann kehren nach einer kurzen Fahrt um den Block durch einen anderen Eingang diskret wieder zurück. In einem kleinen Sitzungssaal am Ende des Ministerflurs warten Staatssekretär Jörg Asmussen, Bundesbankpräsident Axel Weber und BaFin-Chef Jochen Sanio auf sie. Steinbrück stößt kurz darauf ebenfalls hinzu. Der Minister berichtet von dem Viermetz-Brief und fordert die Banken auf, mit Liquidität zu helfen. Diese erklären sich dazu bereit, soweit ausreichend Sicherheiten vorhanden sind.
Am darauffolgenden Tag, Freitag um halb drei Uhr nachmittags, beginnt im Frankfurter Dienstsitz der BaFin in der Lurgiallee ein in der deutschen Bankengeschichte bisher einmaliger Krisen-Marathon. Zur ersten einer ganzen Reihe von Sitzungen, die bis Sonntagnacht dauern sollten, haben sich die Spitzen von BaFin, Bundesbank und HRE sowie Vertreter und Expertenteams vom Prüfungsverband deutscher Banken eingefunden.
HRE -Chef Funke berichtet von seinen Bemühungen bei der Deutschen Bank. Diese habe die vorhandenen Sicherheiten für einen Liquiditätskredit auf 15 Milliarden Euro taxiert. Sein Institut brauche jedoch mehr Geld. Für die Jahre 2008 und 2009 zusammengenommen, also eine sichere Lösung, wird ein Liquiditätsbedarf von rund 35 Milliarden ausgemacht. In erster Linie bei der Depfa in Dublin.
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