Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Sparerinnen und Sparern«, so eine sichtlich angegriffene Kanzlerin, »dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.« Der ebenso mitgenommen aussehende Finanzminister nennt das Versprechen, das im Ernstfall mehr als 1000 Milliarden Euro kosten würde, »eine politische Patronatserklärung«.
Die deutschen Sparerinnen und Sparer hatten nach der Beinahe-Pleite der HRE in der abgelaufenen Woche immer mehr Geld von ihren Konten abgehoben, um es unter die Matratze zu legen. Am Montagabend war von der ARD eine Sondersendung mit dem Titel: »Hilfe: Wer rettet unser Geld?« ausgestrahlt worden. In den Tagen danach hatte die Bundesbank eine rapide ansteigende Nachfrage nach 500 -Euro-Scheinen beobachtet.
Ausgerechnet in dieser Woche waren zudem in norddeutschen Sparkassen Tausende Geldautomaten ausgefallen. Verängstigte Bürger heben daraufhin von ihren Konten immer höhere Beträge ab. Sie trauen den offiziellen Beteuerungen nicht, es handle sich nur um einen Stromausfall, ein Marder habe die Leitung durchgebissen. Die Banken müssen wachsende Summen Bargeld von der Bundesbank anfordern, um die Nachfrage zu decken. Die Differenz der Bargeldauszahlungen zu den Einzahlungen steigt auf das Vierfache des vergleichbaren Vorjahreswertes an. Ein Ansturm auf die Banken zeichnet sich ab, Bundesbankpräsident Weber und BaFin-Chef Sanio raten Berlin dringend zu der Einlagengarantie. Kanzlerin und Finanzminister folgen dem Rat.
Später bekennt Steinbrück, dass er im Verlauf der Finanzkrise zweimal »richtig Angst« verspürt habe: im September 2008 , »als die Gefahr bestand, dass die Amerikaner nach Lehman Brothers auch den Versicherungskonzern AIG in die Insolvenz schicken«, und dann als für die HRE überraschend eine zweite Liquiditätshilfe von 15 Milliarden Euro nötig wurde: »Da brauchte ich wirklich einen Stuhl, um mich zu setzen.«
Doch selbst die endgültige Rettung die HRE und die Einlagengarantie der Regierung können die Bürger nicht beruhigen. Viele schließen daraus, dass es um die Stabilität der Geldinstitute generell schlimm bestellt sein muss. Nur 29 Prozent der Deutschen glauben, dass die Regierung ihr Versprechen im Fall der Fälle tatsächlich einhalten kann. Der Bargeldabfluss bei den Banken geht weiter und verstärkt sich noch. Unter Bankern macht sich Galgenhumor breit. In der Branche kursiert ein Wortspiel über die Soll- und Habenseite von Bankbilanzen: »On the left side nothing is right and on the right side nothing is left.« Am Montag, dem 6 . Oktober, sackt der Dax um weitere sieben Prozent ab. Die Lage ist hochexplosiv.
Für Mittwoch laden Kanzlerin und Finanzminister die Herausgeber und Chefredakteure der wichtigsten deutschen Medien ins Kanzleramt und bitten sie, sich in der Berichterstattung über die Finanzkrise Zurückhaltung aufzuerlegen. Ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang und weiterer Beleg dafür, wie nahe am finanziellen und wirtschaftlichen Abgrund das Land in diesen Tagen und Wochen balanciert.
Ich hatte schon länger mit wachsender Bewunderung verfolgt, wie verantwortungsvoll sich meine ehemaligen Journalistenkollegen in dieser brenzligen Lage insgesamt verhielten, und mich gefragt, wie ich mich jetzt wohl fühlen würde, wäre ich noch Chefredakteur der WirtschaftsWoche .
Trotz der Zurückhaltung der Medien erreicht der Bargeldabfluss immer neue Höchststände. Am Freitag muss die Bundesbank den deutschen Geldinstituten 500 -Euro-Scheine im Wert von über vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen, der Saldo von Auszahlungen zu Einzahlungen steigt auf das 20 -Fache des Vorjahreswerts. Die Lage beruhigt sich erst, als die Regierung eine weitere drastische Maßnahme ergreift, die ebenfalls wesentlich auf die Initiative von Josef Ackermann zurückgeht.
Nach der zweiten HRE -Runde in Berlin hatten Steinbrück, Asmussen, Weber, Ackermann, Müller und Blessing noch bis zwei Uhr morgens bei einem Glas Rotwein im Finanzministerium zusammengesessen. In dieser Nacht schlägt der Schweizer vor, entsprechend dem Vorbild der USA einen großen Rettungsschirm für alle deutschen Geldhäuser aufzuspannen, unter dem in Schwierigkeiten geratene Banken Zuflucht suchen können. Steinbrück bezeichnet den Vorschlag später als »die Geburt des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes«. Ackermann gehöre gemeinsam mit Weber »das Copyright dafür«. Der Deutsche-Bank-Chef ist endgültig zum führenden Krisenmanager des Landes avanciert.
Wenige Tage zuvor hatte der
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