Späte Schuld
Seele, aber es war Claymore, der dank des neuen Vertrags mehr Geld verdiente.
Claymore war genauso schwarz wie sein militanter Gast. Er war Ende fünfzig, groß und breitschultrig und hatte in seinem bewegten Leben sämtliche Stationen durchlaufen: vom Linksradikalen über den islamistischen Fundamentalisten zum neokonservativen wiedergeborenen Christen.
Die heutige Sendung war als Dreierdebatte zwischen säkularen militanten Schwarzen, Black Muslims und dem Ku-Klux-Klan gedacht gewesen. Aber der militante Schwarze hatte das Streitgespräch an sich gerissen, um gegen schwarze Konservative wie Claymore zu wettern, und die weißen Rechtsradikalen im Studio – die das Thema Drogen überhaupt erst auf den Tisch gebracht hatten – zu Nebenfiguren degradiert.
»Was die unsangetan haben, ist keine Entschuldigung für das, was wir uns selbst antun, Brüder!«, entgegnete Claymore. »Wir müssen aufhören, anderen die Schuld zu geben. Früher waren wir Sklaven des weißen Mannes , jetzt sind wir Sklaven des weißen Pulvers . Ich finde, dass es an der Zeit ist, dass wir die Ketten sprengen und uns ein für alle Mal von diesem Joch befreien!«
Wieder reagierte das Publikum mit donnerndem Applaus, bis auf den kleinen militanten Kader. Claymore sah sich um und las Zustimmung auf den Gesichtern der meisten Zuschauer, ob schwarz oder weiß. Der militante Schwarze hätte sie beinahe für sich gewonnen, aber Claymore hatte sie mit ein paar gut gewählten Worten zurück auf seine Seite gezogen.
Dann ergriff ein Mann im Anzug das Wort, auf dessen Fliege eine Mondsichel abgebildet war: »Wenn Sie glauben, dass die Lösung darin besteht, sich dem weißen Establishment anzuschließen, sind Sie genauso ein Dummkopf wie er.«
»Wovon sprechen Sie?«, fragte Claymore.
»Davon, dass Sie vom Regen in die Traufe gekommen sind und Ihr Volk schon zum zweiten Mal verraten haben.«
Der Mann im Anzug war eine große, schlanke, elegante Erscheinung. Er war ein führendes Mitglied der Religionsgemeinschaft Nation of Islam und galt als Claymores Erzfeind. Auch Claymore hatte früher der Nation of Islam angehört, bis er sich enttäuscht abgewandt hatte.
»Könnten Sie das vielleicht näher ausführen?«
»Ich spreche vom Islam, der Religion des schwarzen Mannes, der Religion, der Sie den Rücken gekehrt haben, als Sie zum Abtrünnigen wurden.«
»Zum Abtrünnigen des Islam oder zum Abtrünnigen der Nation of Islam? Das ist nämlich nicht dasselbe. Malcolm X hat die Nation of Islam verlassen, aber er hat dem Islam nie den Rücken gekehrt. Das hat ihn jedoch nicht davor bewahrt, ermordet zu werden.«
Mit diesem Argument forderte er seine ehemaligen Glaubensbrüder besonders gern heraus. Malcolm X hatte die Nation of Islam verlassen, weil er sowohl von ihrer separatistischen Politik als auch vom Verhalten ihrer Anführer enttäuscht gewesen war.
Aber der gut gekleidete Herr aus dem Publikum würde sich nicht in eine Diskussion darüber verwickeln lassen, wer Malcolm X ermordet hatte. Die Nation of Islam hatte ihren früheren Feind posthum wieder in Gnaden aufgenommen und versuchte, sich vom Attentat auf ihn zu distanzieren.
»Sie sind aber nicht wie Bruder Malcolm, Claymore, und Sie werden auch nie so sein! Bruder Malcolm hat nie getan, was Sie getan haben.«
Mit dieser Anspielung erntete er heftigen Applaus. Jeder wusste, dass Elias Claymore nicht immer so ehrbar gewesen war, wie er sich heute gab. Aber darauf war Claymore vorbereitet.
»Und genau wegen meiner eigenen Schuld muss ich meine Stimme erheben«, sagte er und warf einen professionellen Blick auf die Studiouhr. »Als Sünder habe ich die Pflicht, nichtstumm zu bleiben. Und in der Zwischenzeit lasst uns alle dankbar dafür sein, dass wir in einem Land leben, in dem niemand mehr Sklave sein muss, es sei denn, er will es so. Ich danke Ihnen allen und wünsche Ihnen einen schönen Tag. Gott segne Amerika!«
Donnernder Applaus erklang. Die Talkshow war vorbei.
Nachdem eine der Kameras nach hinten gefahren worden war, um ihn vorbeizulassen, eilte Claymore aus dem Studio, allerdings nicht ohne vorher mit mehreren begierigen Zuschauern zu sprechen und einigen von ihnen die Hände zu schütteln.
Hinter den Kulissen stand er plötzlich zwei uniformierten Polizisten und einer Kriminalbeamtin gegenüber, die alle nicht älter als dreißig sein konnten, wenn überhaupt. Was ihm am meisten Angst machte, war der unerbittliche Ausdruck auf ihren Gesichtern. Er hatte keine Ahnung, um was es
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