Späte Schuld
Mart… Hör mal, du machst dir doch nicht immer noch Sorgen wegen Andi, oder? Ich bin mir sicher, dass es ihr gut geht.«
»Verrat mir nur eins: Sagt dir der Name Lannosea etwas?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte sekundenlang Stille. »Warum fragst du das?«
»Weil ich eine SMS von einer mir unbekannten Nummer erhalten habe, und zwar von jemandem, der sich Lannosea nennt. Ich vermute, du hast den Namen schon einmal gehört?«
»Okay, hör zu: Speicher auf jeden Fall die SMS.Vielleicht ist uns das später nützlich.«
»Wieso nützlich?«
»Lannosea ist der Name der Person, die Andi Droh-E-Mails geschickt hat. Wir glauben, dass es sich dabei um dieselbe Person handelt, die die Gerichtssoftware manipuliert und außerdem versucht hat, Andi den Zugriff auf die Datenbank in die Schuhe zu schieben. Unserer Meinung nach könnte es eine der Frauen sein, die du …«
Eine Zeitlang schwiegen beide. Schließlich war es Claymore, der das Wort ergriff: »Aber du weißt nicht, welche.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein. Obwohl mein Sohn und Andi vorhatten, ihre Kompetenzen zu bündeln und es herauszufinden. Wieso, hast du eine Idee, wer es sein könnte?«
Jetzt war es Claymore, der zögerte. Alex hatte gesagt, dass etwas passiert war. Und er klang, als würde er im Auto sitzen. Da konnte er wirklich nicht noch mehr Probleme gebrauchen.
»Nein … eigentlich nicht«, sagte Claymore.
Die Autos vor ihm setzten sich endlich wieder in Bewegung.
Mittwoch, 2. September 2009 – 19.10 Uhr
Gene hatte nicht gelogen, als sie angekündigt hatte, ein Motorrad zu stehlen und damit so schnell wie möglich über die Bay Bridge zum Waterfront Hotel zu fahren. Die Maschine kurzzuschließen war einfacher gewesen, als sie zu finden, und das obwohl Oakland die Geburtsstadt der Hells Angels war.
Beim Einbiegen auf den Hotelparkplatz überstieg ihre Herzfrequenz sogar noch die Ziffer auf dem Drehzahlmesser. Sie war viel zu sehr in Sorge, um zu bemerken, wie die Leute sie anstarrten, als sie vom Motorrad stieg. Hastig betrat sie die Hotellobby und eilte zur Rezeption. Obwohl dort mehrere Hotelgäste anstanden, nutzte sie ihre einschüchternde Körpergröße und Statur dazu, sich einen Weg nach vorn zu bahnen.
»Ich muss sofort mit Martine Yin sprechen!«
Sie griff in die Innentasche ihrer Jacke, als wollte sie eine Polizeimarke hervorziehen – oder eine Waffe. Der Trick zeigte Wirkung, auch weil sie dabei die ganze Zeit Blickkontakt hielt. Die verängstigte junge Frau an der Rezeption tippte den Namen in den Computer und stotterte: »Sie können das Haustelefon benutzen. Die Nummer lautet 9214. Sie sind bereits die zweite Person, die …«
Aber Gene rannte bereits zum Treppenhaus. Sie wusste genau, was die vierstellige Telefonnummer bedeutete. Die erste Ziffer hieß lediglich, dass man ein Hotelzimmer anrief und keine Servicefunktion, und die restlichen drei Ziffern ergaben die Zimmernummer: Die erste verriet die Etage und die anderen beiden das Zimmer. Martine hatte also Zimmer Nummer 214 im zweiten Stock.
Was Gene am meisten zur Eile antrieb, war die Zusatzinformation der Rezeptionistin: »Sie sind bereits die zweite Person, die …«
Im zweiten Stock angekommen, warf Gene einen schnellen Blick auf die Pfeile, die anzeigten, in welcher Richtung sich welche Zimmer befanden. Zu 214 musste sie nach links. Entschlossen stürmte Gene den Flur entlang und las im Vorbeigehen die Nummern auf den Türen, damit sie nicht versehentlich zu weit ging.
Als sie endlich vor Zimmer 214 angekommen war, blieb sie stehen und hämmerte energisch gegen die Tür.
Alles blieb still. Aber sie glaubte, eine Männerstimme gehört zu haben, bevor sie geklopft hatte.
Sie hämmerte erneut an die Tür. »Louis? Ich weiß, dass du da drin bist!«
Im Zimmer war ein Geräusch zu hören, bevor der Türgriff gedreht wurde. Langsam ging die Tür auf und gab den Blick auf einen jungen schwarzen Mann Ende zwanzig frei, der sie strahlend anlächelte und einen Stützverband aus Kunststoff ums Bein trug. Nachdem der Mann beiseitegetreten war, um Gene hereinzulassen, bemerkte sie zwei weitere Dinge: erstens, dass Martine geknebelt und gefesselt auf dem Bett lag und sie voller Panik anstarrte, und zweitens, dass Manning mit beinahe beleidigender Lässigkeit eine Waffe in der Hand hielt, die locker neben seinem Körper baumelte.
Mit einem arroganten Kopfnicken befahl er Gene, ins Zimmer zu treten. Sie gehorchte und bemühte sich um einen neutralen
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