Späte Schuld
Sie, wir sollten die Polizei anrufen?«
»Und was sagen wir der? Dass wir glauben , Louis Manning könnte es auf sie abgesehen haben, uns aber nicht sicher sind und auch gar nicht wissen, wo Martine jetzt ist?«
»Wir könnten einfach sagen, dass wir sie nicht erreichen und uns Sorgen machen.«
»Und Sie glauben, dann unternimmt die Polizei etwas?«
»Was sollen wir denn sonst tun?« Gene zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass auch Alex die Notwendigkeit sah, etwas zu unternehmen.
»Ich werde zu ihr ins Hotel fahren und unterwegs weiterhin versuchen, sie telefonisch zu erreichen.«
»Wo sind Sie jetzt?«
»In meiner Kanzlei im Embarcadero Center.«
»Und Martine ist auch in San Francisco?«
»Nein, in Oakland. Sie wohnt im Waterfront Hotel.«
»Das heißt, Sie müssen über die Bay Bridge.«
Es war Rushhour. Die ungünstigste Zeit, um über die Bay Bridge zu fahren. Dass die Giants an diesem Tag gegen die Dodgers spielten, machte alles noch schlimmer.
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«
»Ich bin auch in San Francisco, aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich schon in der Nähe der Brücke. Und ich habe einen Motorradführerschein, das macht mich vielleicht ein bisschen mobiler.«
»Haben Sie denn ein Motorrad?«
»Noch nicht. Aber ich kann eins besorgen.«
»So kurzfristig verkauft Ihnen bestimmt niemand eine Maschine.«
»Wer sagt denn, dass ich eine kaufen möchte?«
»Nein, warten Sie! Machen Sie auf keinen Fall etwas Ille…«
Aber die Leitung war bereits tot. Alex wusste, dass er sofort zum Hotel musste. Allerdings hatte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass Gene vor ihm dort eintreffen würde.
Mittwoch, 2. September 2009 – 19.00 Uhr
Die Furcht, die Martine verspürt hatte, als Manning sie im Parkhaus überwältigt hatte, war nichts im Vergleich zu ihrer jetzigen Panik. Denn diesmal war sie mit Klebeband ans Bett gefesselt und hatte keine Ahnung, was er mit ihr vorhatte. Das Parkhaus war ein öffentlicher Ort gewesen, was seine Möglichkeiten entsprechend eingeschränkt hatte. Hier im Hotelzimmer hingegen waren sie den Blicken anderer Menschen entzogen, was ihm mehr Spielraum und vor allem mehr Zeit verschaffte.
Das Telefon hatte bereits mehrmals geklingelt, seit Manning sich gewaltsam Zutritt zu ihrem Zimmer verschafft hatte. Martine vermutete, dass es Alex war, aber sicher war sie sich nicht. Schließlich wusste er ja nicht, dass etwas nicht stimmte, und sie hätte genauso gut unterwegs sein können oder unter der Dusche. Vorhin beim Duschen hatte sie sich tatsächlich eingebildet, das Telefon gehört zu haben.
Anfangs hatte Martine erwogen, sich gegen Manning zur Wehr zu setzen. Im Parkhaus hatte ihr Mut sie davor bewahrt, vergewaltigt zu werden, und es der Polizei ermöglicht, ihn zu schnappen. Aber ihre jetzige Situation war eine ganz andere. Erstens fehlte ihr das Überraschungsmoment, denn er rechnete mit ihrer Gegenwehr und achtete auf jede winzige Bewegung oder Geste. Zweitens hätte sie erst die Tür öffnen und auf den Flur hinausrennen müssen, wenn sie es geschafft hätte, sich loszureißen, und das hätte wertvolle Sekunden gekostet. Aber der dritte und wichtigste Grund war, dass Manning dieses Mal bewaffnet war.
Die Waffe gab den entscheidenden Ausschlag. Sie wusste, dass sie es nicht wagen würde, sich zu widersetzen. Und er wusste es ebenso. Um ganz sicherzugehen, schloss er ihre Hände vor ihrem Körper mit Handschellen zusammen, nachdem er ihr befohlen hatte, den Bademantel auszuziehen. Dann zwang er sie, sich aufs Bett zu legen.
Sie fühlte sich unendlich verletzlich und ausgeliefert, aber es war eigenartig befreiend, sich dies einzugestehen. Ihre einzige Chance – falls es überhaupt eine gab – bestand nun darin, mit ihm zu kommunizieren und ihn vielleicht zur Vernunft zu bringen.
»Eins verstehe ich nicht.«
»Hab ich dir gesagt, dass du den Mund aufmachen sollst, Schlampe?«
Für einen kurzen Moment stieg noch größere Panik in ihr auf, weil ihr klar wurde, dass sie Manning und die Situation, in der sie sich befand, unterschätzt hatte. Aber dann redete sie sich ein, dass auch er nicht vollkommen frei von Ängsten sein konnte. Momentan mochte er am längeren Hebel sitzen, aber vieles von dem, was er tat oder sagte, wirkte aufgesetzt und schien keinesfalls auf ein unerschütterliches Gefühl der Unbesiegbarkeit zurückzugehen. Sie beschloss, es erneut zu versuchen und dabei ungezwungen, aber nicht verächtlich zu klingen.
»Ach komm schon, mich
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