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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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brauchst du wirklich nicht mehr mit dieser Machonummer zu beeindrucken. Du hast mich doch schon, wo du mich haben willst. Warum sollten wir nicht vorher ein bisschen plaudern?«
    Er war so verblüfft über ihre Reaktion, dass er tatsächlich kurzzeitig lächelte und sagte: »Da hast du vollkommen recht.«
    Sie seufzte leise vor Erleichterung. Ihre implizite Anerkennung seiner Macht schien seine Wut ein wenig besänftigt zu haben. Sie wartete trotzdem ab, bis er das nächste Mal das Wort ergriff, schließlich wollte sie nicht zu übereifrig klingen.
    »Also, was verstehst du nicht?«
    »Na ja … du hast Bethel Newton vergewaltigt … und dann hast du versucht, mich zu vergewaltigen. Ich frage mich, ob das reiner Zufall war.«
    »Nicht wirklich. Das mit Bethel Newton war spontan. Keine Ahnung, warum ich sie vergewaltigt habe. Wahrscheinlich hätte sie auch so mit mir geschlafen. Vielleicht gerade deshalb. Ich mag Machtspielchen. Das ganze Leben besteht doch aus Machtspielen, von der unterwürfigen orientalischen Ehefrau, die vier Schritte hinter ihrem Mann geht, bis zu dem Kerl, der den Finger am Auslöser der Atombombe hat.«
    »Okay, verstehe. Aber was war mit …«
    »Mit dir? Ganz einfach: Ich wusste über dich und Sedaka Bescheid.«
    »Woher?«
    »Nun ja, ich habe den Newton-Prozess aus offensichtlichen Gründen aufmerksam verfolgt. Den ersten Nachrichtenbeitrag habe ich gesehen, nachdem Claymore verhaftet wurde, und in dem Bericht wurde gesagt, sein Anwalt wäre gleichzeitig sein Freund und ein ziemlich guter Verteidiger. Das hat mich neugierig gemacht, und ich bin Sedaka einmal heimlich gefolgt, als er aus dem Untersuchungsgefängnis kam. Dabei habe ich gesehen, wie er dich abgeholt hat und mit dir essen gegangen ist.«
    »War das nicht ziemlich riskant? Fast so riskant, wie zurück an den Tatort zu gehen?«
    »Kann schon sein. Mir fällt es eben schwer loszulassen. Irgendwie habe ich immer den Drang, an den Ort zurückzukehren, an dem alles anfing. Zurück zu meinen Wurzeln, wie ein Fisch, der flussaufwärts zu der Stelle zurückschwimmt, an der er geboren wurde.«
    Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Du meinst Lachse?«
    »Ja.«
    Ihr fehlten Worte.
    »Und du dachtest, ich wäre nur ein ungebildeter Nigger.«
    »Das habe ich nie gesagt.«
    »Oh, natürlich nicht. Weil du eine kultivierte, gebildete asiatischstämmige Amerikanerin bist. Wenn du ein Bauerntrampel aus Alabama wärst, hättest du es gesagt. Andererseits wüsstest du dann nichts über das Paarungsverhalten von Fischen.«
    Er grinste höhnisch und erklärte mit polterndem Südstaatenakzent: »Ich hab das überraschte Flackern in deinen Augen genau gesehen, als ich das mit dem Flussaufwärtsschwimmen gesagt habe. Und ich muss schon sagen, Madam, das war das erste Mal in meinem Leben, dass mich jemand mit einem Lachs verglichen hat!«
    Er behielt das verächtliche Grinsen noch einen Moment bei, bevor sich sein Gesicht verhärtete.
    »Ich glaube, ich kneble dich besser auch«, sagte er, und seine Stimme klang jetzt wieder tiefer. »Du hast zwar nichts von dir gegeben, was ich nicht schon längst wüsste, aber sicher ist sicher.« Erneut kam der nachgeahmte Südstaatenakzent zum Einsatz: »Nehmen Sie’s nicht persönlich, Madam, aber Sie sind ziemlich leicht zu durchschauen.«

Mittwoch, 2. September 2009 – 19.05 Uhr
    Claymore saß noch immer in der Washington Street fest und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Dabei ging ihm im Kopf herum, was Gene über Alex gesagt hatte: »Alex ist ein Arschloch. In gewisser Weise ist er auch so etwas wie ein Vergewaltiger. Jedenfalls weiß er, wie er Menschen unter Zwang dazu bringen kann, sich seinem Willen zu beugen.« Genes Worte hatten auffällig Ähnlichkeit mit dem, was Andi nach dem Prozess gesagt hatte: »Ich wurde erneut vergewaltigt – diesmal von einem Kollegen. Nicht im wörtlichen Sinne, aber im übertragenen. Mir waren die Hände gebunden, deshalb war ich gezwungen, mich seinem Willen zu beugen. Aber das ist das letzte Mal, dass mir so etwas passiert.«
    Es gab erste Anzeichen dafür, dass sich der Stau vor ihm auflöste, und Claymore atmete erleichtert auf. Dann fiel ihm wieder die SMS ein, die er bekommen hatte. Er rief die einzige Person an, die ihm vielleicht weiterhelfen konnte.
    »Hallo?«
    »Hi, Alex, hier ist Elias.«
    »Elias, hör zu: Nimm’s nicht persönlich, aber ich bin gerade anderweitig beschäftigt. Es ist etwas passiert.«
    »Hat es zufällig mit Andi zu tun?«
    »Nein, mit

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