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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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zögerte. Sie wusste, dass sie mit Bedacht vorgehen musste, weil die Diskussion in Anwesenheit der möglichen Geschworenen geführt wurde, die sie nicht dadurch verstimmen wollte, dass sie ihnen Befangenheit vorwarf.
    »Darf ich nach vorn kommen, Euer Ehren?«
    »Bitte.«
    Sie ging zur Richterbank, begleitet von Alex, der sich inzwischen nicht mehr die Mühe machte, seine Wut zu verbergen. Sarah Jensen und Nick Sinclair kamen ebenfalls nach vorn, ließen sich jedoch Zeit.
    Nachdem die Richterin ihr Mikrofon ausgeschaltet hatte, beugte sich Andi vor und redete leise auf sie ein, wobei sie sich um einen eindringlichen Tonfall bemühte. »Euer Ehren, mir geht es um Folgendes: Dadurch, dass Schwarze im Auswahlpool auf gravierende Weise unterrepräsentiert sind, haben wir keine Chance, eine repräsentative Jury zu bilden. Bei einem derart wichtigen Fall mit all seinen Konsequenzen ist es aber unverzichtbar, dass die Geschworenen einem Querschnitt der Bevölkerung entsprechen. Dass bei einem solchen Anklagepunkt die Gefühle hochkochen, ist unvermeidlich. Ich bitte lediglich um eine faire Chance auf eine ethnisch gemischte Jury, die einen echten Querschnitt der hiesigen Gemeinde darstellt.«
    Die Richterin sah zu den potenziellen Geschworenen hin-über, unter denen sich tatsächlich nur acht Schwarze befanden, das ließ sich nicht bestreiten. Nach allem, was Andi über die Bevölkerungszusammensetzung von Alameda gesagt hatte, war das zumindest eine statistische Anomalie.
    »Ich verstehe Ihre Sorge, Mrs Phoenix. Aber es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass Jurys ethnisch ausgewogen oder gemischt sein müssen. Sogar der Auswahlpool ist manchmal nicht ganz ausgewogen, was sich im Endeffekt jedoch nicht negativ auswirkt.«
    »Aber es gibt sehr wohl einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass Geschworene nicht systematisch aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit ausgeschlossen werden dürfen, Euer Ehren. Die Tatsache, dass Schwarze in der Auswahlgruppe derart extrem unterrepräsentiert sind – und ich kann Ihnen als Bestätigung gern die Statistik zeigen –, bedeutet, dass sie von der späteren Jury ausgegrenzt werden. Wenn sie es gar nicht erst in den Kandidatenpool schaffen, schaffen sie es natürlich auch nicht in die Jury.«
    Richterin Wagner betrachtete erneut die Kandidaten. »Aber Geschworene werden nach dem Zufallsprinzip ausgesucht, Mrs Phoenix. Haben Sie irgendwelche Beweise dafür, dass Schwarze absichtlich vom heute hier anwesenden Auswahlpool ausgeschlossen wurden?«
    »Nein, Euer Ehren. Aber statistisch betrachtet ist es nun mal unwahrscheinlich – höchst unwahrscheinlich sogar –, dass Schwarze in einer derart großen Auswahlgruppe so auffällig unterrepräsentiert sind. Aus diesem Grund liegt der Verdacht nahe, dass beim Auswahlverfahren etwas schiefgegangen ist.«
    Sarah Jensen, die es bisher der Richterin überlassen hatte, Andi in der Luft zu zerreißen, hielt es für an der Zeit, sich einzumischen: »Euer Ehren, das ist doch lächerlich! Statistische Abweichungen gibt es immer wieder. Bei so vielen Prozessen ist es ganz normal, dass Bevölkerungsgruppen mal stärker und mal schwächer vertreten sind. Ich frage mich, ob Mrs Phoenix schon von Standardabweichungen gehört hat. Kennt sie sich überhaupt mit Statistik aus, oder sucht die Verteidigung lediglich einen Vorwand, sich die Rosinen unter den Geschworenen herauszupicken?«
    Die Richterin sah Andi an. »Mrs Phoenix, können Sie beweisen, dass eine Abweichung dieser Größenordnung, hochgerechnet auf die Anzahl der Geschworenenprozesse insgesamt, statistisch fragwürdig ist?« Ihr Tonfall war bestimmt, aber nicht aggressiv.
    »Nein, Euer Ehren«, antwortete Andi kleinlaut.
    »Haben Sie kausale Beweise dafür, dass Schwarze absichtlich aus dem heutigen Kandidatenpool ausgeschlossen wurden?«
    »Nein, Euer Ehren.«
    »Dann ist Ihr Einwand hiermit abgewiesen.« Ellen Wagner lehnte sich zurück und sah alle Beteiligten an. »Sie können jetzt auf Ihre Plätze zurückkehren.«

Montag, 17. August 2009 – 13.00 Uhr
    »Was zur Hölle wollten Sie damit bezwecken?«
    Nachdem sie den ganzen Vormittag Geschworene befragt hatten, war die Sitzung für die Mittagspause unterbrochen worden. Alex machte seinem Ärger Luft, kaum dass er ein wenig Abstand zwischen sich und die Reporter gebracht hatte, die ihnen aus dem Gerichtssaal gefolgt waren. Die Pressemeute war gerade so außer Hörweite.
    »Ich habe ein Missverhältnis

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