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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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der Suche nach nützlichen Informationen klickte Andi einen Link nach dem anderen an, erwartete jedoch nicht wirklich, dass sie etwas fand. Sie wusste, dass Schwarze in Jurys aus einer Vielzahl von Gründen unterrepräsentiert waren, weshalb vielleicht tatsächlich große Schwankungen von Fall zu Fall auftraten. Das hätte die von Richterin, Staatsanwältin und sogar Alex geteilte Ansicht gestützt, dass es sich auch in diesem Fall nur um eine ganz normale statistische Abweichung handelte.
    Und dennoch hoffte ein Teil von ihr auf das Gegenteil.
    »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«, fragte Juanita.
    »Oh ja, danke«, antwortete Andi und hob nur flüchtig den Blick. Anfangs war ihr Juanita feindselig vorgekommen, und sie war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie Lesben nicht mochte. Aber noch vor Ablauf ihres erste Arbeitstages war Juanita aufgetaut und fast verdächtig freundlich zu ihr gewesen. Andi kamen sogar erste Zweifel, ob sie Juanitas sexuelle Orientierung richtig eingeschätzt hatte. Jedenfalls besaß Juanita ein sanfteres Gemüt als Alex … und ganz sicher auch ein sanfteres als Gene.
    Während Andi auf ihren Kaffee wartete, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Computerbildschirm und dem Problem zu, das ihr schon im Gerichtssaal keine Ruhe gelassen hatte. Natürlich stimmte es, dass sich viele Schwarze nicht in die Wählerlisten eintrugen, aber genau deshalb griff der Bundesstaat ja zusätzlich auf das Führerscheinregister zurück. Das einzige Eigentum, das sozioökonomischen Faktoren gegenüber immun war: das Auto. Die breite Verfügbarkeit von billigen Gebrauchtwagen bedeutete, dass bis auf die allerärmsten Mitglieder der Gesellschaft keiner auf ein Auto verzichten musste. Und selbst falls doch – einen Führerschein besaßen die meisten erwachsenen Amerikaner, und Führerscheinbesitzer bildeten wiederum einen Teil der Gruppe, aus der die Geschworenen rekrutiert wurden.
    Genau das beunruhigte Andi so sehr an der Geschichte. In einem kleinen Kandidatenpool mochte man bisweilen eine unverhältnismäßige Bevölkerungsverteilung vorfinden, aber der heutige Pool hatte aus hundertfünfzig Personen bestanden. Da war ein derart großes Ungleichgewicht alles andere als normal. War es also wirklich nur ein unglücklicher Zufall? Entgegen Sarah Jensens Unterstellung verstand Andi sehr wohl etwas von Statistik. Dieses Fach war Teil ihres Psychologiestudiums gewesen. Begriffe wie Standardabweichung und mittlere Abweichung waren ihr vertraut, aber die These, dass die geringe Anzahl von Schwarzen im Kandidatenpool Ergebnis einer solchen zufälligen Abweichung sein sollte, überzeugte sie nicht.
    Sie war fest entschlossen herauszufinden, was wirklich der Grund war.
    Die Tür ging auf, und Juanita kam lächelnd mit einer Tasse Kaffee herein. Andi erwiderte das Lächeln, wandte ihre Aufmerksamkeit dann aber schnell wieder dem Computerbildschirm zu und gab so zu verstehen, dass sie keine Zeit für Smalltalk hatte.
    Als Erstes musste sie sich in die Internetseite des Statistikamts einloggen und die Geschworenenverzeichnisse der verschiedenen Wahlbezirke aufrufen. Dann sah sie sich die Zusammenstellung sämtlicher Jurys an, ein langsamer und mühsamer Prozess, aber anders ging es nicht. Endlich, nach mehreren Stunden akribischer Arbeit, hatte sie genügend Material zusammen, um das Graphikprogramm ihres Computers mit Daten füttern und Diagramme erstellen zu können, auf denen sie die Bevölkerungsverteilung des jeweiligen Wahlbezirks mit der Zusammenstellung seiner Geschworenenpools verglich.
    Das Ergebnis jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es gab tatsächlich eine statistische Schieflage, und zwar nicht nur in Alameda, sondern auch in vielen anderen Bezirken.
    Und sie erstreckte sich über die letzten fünf Jahre.

Montag, 17. August 2009 – 18.10 Uhr
    »Erneut hat die Anklage gegen Elias Claymore wegen Vergewaltigung von Bethel Newton noch vor Prozessbeginn für eine Überraschung gesorgt«, berichtete Martine Yin.
    Das Fernsehbild flimmerte, aber der junge Mann starrte wie gebannt auf den Bildschirm.
    »Heute Morgen hat sich Alex Sedakas zweite Anwältin Andi Phoenix im Gerichtssaal erhoben, um den gesamten Geschworenenpool anzufechten, ein überraschender Schachzug der Verteidigung. In einem Ablehnungsantrag, wie es ihn seit Sam Leibowitz’ berühmter Verteidigung der Scottsboro-Jungs in Alabama nicht mehr gegeben hat, behauptete Miss Phoenix, Schwarze seien im Kandidatenpool unterrepräsentiert,

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