Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Haijby?«
»Das angebliche schwule Netzwerk der Macht.«
»Genau. Für Erik waren die reißerischen Artikel ein gefundenes Fressen. Er hat darin sein Weltbild bestätigt gesehen.«
»Und Walter?«
»Walter ist mit Eriks Hasstiraden aufgewachsen.«
»Wusste er von den Vergewaltigungen?«
»Ich ... Das weiß ich nicht. Aber als er von Johans sexueller Orientierung erfuhr, kam es zum Eklat.«
»Was ist passiert?«
»Einer dieser dummen Zufälle. Er hat die beiden zusammen getroffen, auf einer Studienexkursion, in einem Kopenhagener Museum. Da standen sie, eng umschlungen, miteinander turtelnd. Für Walter war es eine Katastrophe. Er stand vor der Wahl, seinen geliebten Onkel vom Podest zu stoßen oder das hasserfüllte Weltbild seines Vaters infrage zu stellen.«
Hildegard Hedingks wrang ihr Taschentuch. Ihre Sitzhaltung war noch gekrümmter als vorher.
»Er hat sich für die Seite seines Vaters entschieden, und es kam zum Bruch mit Johan. Auch wir hatten fürchterliche Streits. Er hat mir vorgehalten, ihn jahrelang hintergangen und belogen zu haben. Was ja irgendwie stimmte. Ich meine, Neuseeland! Zu einem Teil konnte Johan seinen Zorn und seine Enttäuschung verstehen. Vielleicht hätten wir ihm die ganze Wahrheit sagen sollen, bevor er selbst darüber stolperte. So wendete sich alles zum Schlimmsten. Johan unternahm noch einige Versuche, Walters Vertrauen zurückzugewinnen, aber es war vergebens. Bis zu Johans Tod blieb Walter unversöhnlich. Aus seiner Sicht hatte Johan die Familienehre verraten, hatte sich von einer Tunte verführen lassen. So nannte er Henrik, verdammte Tunte. Das wirklich Tragische dabei ist, dass ich davon überzeugt bin, dass sich Walter und Henrik im Grunde sehr gut verstanden hätten. Allein schon wegen ihrer gemeinsamen Liebe zu diesen Schachproblemen.«
»Schach?«
Hildegard Hedingks sah Nyström erstaunt an.
»Ja. Schach. Wusstet ihr das nicht? Henrik hat früher doch diese Schachprobleme für Zeitschriften geschrieben. Ich weiß gar nicht, warum er damit aufgehört hat. Vermutlich hat es ihn irgendwann gelangweilt.«
»Walter und Henrik, hatten sie denn Kontakt in den letzten Jahren? Nach Johans Tod?«
»Nein. Davon hätte ich gewusst. Wir telefonieren häufig, musst du wissen. Er ... Walter hat nicht viel außer seinem Schachproblem-Verein und seiner Arbeit für die Versicherung. Er ist auch heute kein sonderlich sozialer Mensch.«
Hedingks schlug die Augen nieder. Die Wimperntusche verklebte die Härchen über ihren Augen zu Stäben.
Das Licht auf dem Sund war nun anders, trüber als zuvor. Ich bin am Ziel, dachte Nyström. Ich bin endlich da.
»Da ist etwas, das du mir nicht sagst.«
Hildegard Hedingks sah sie lange an. Regungslos. Ihre Augen waren eisgrau. Aber das Eis darin war geschmolzen.
»Walter ist weg. Seit zehn Tagen, seit Henriks Tod. Ich erreiche ihn nicht mehr.«
11
Walter Hedingks hatte pünktlich eingecheckt. Am Schalter des Fährterminals hatte er sein Ticket abgegeben und den Schlüssel für seine Kabine erhalten, eine Art Pappstreifen mit einem Strichcode darauf. Er hatte durch keine Sicherheitskontrolle gemusst, und niemand hatte sich über fehlendes Gepäck gewundert. Es war ein Kinderspiel gewesen, bei der Buchung im Internet hatte er noch nicht einmal seinen richtigen Namen verwenden müssen. Er hieß nun Bo Lindgren . Das war eine spontane Eingebung gewesen. Ein bisschen lag es an dem Namen der schönen Ärztin. Love Lindgren. Unter diesem Namen hatte die raffinierte Frau gebucht, Maria. An dem Computer der Ärztin hatte er jeden ihrer Schritte nachverfolgt. Er war schlauer als sie, der Herr Lindgren. Bo war eine sentimentale Reminiszenz an seinen Übervater. Bo Lindgren war Schwedens einziger Großmeister der Schachkomposition. Letzten Sommer war Bo Lindgren gestorben, Walter hatte im Herbst sein Grab besucht.
Der Plan mit den Namen war einfach, aber genial.
»Guten Abend, mein Name ist Bo Lindgren. Ich unternehme diese Reise mit meiner Schwester, Love. Sie ist nicht mehr die Jüngste und geistig nicht immer ganz auf der Höhe. Und ich fürchte, jetzt hat sie tatsächlich ihren Schlüssel verloren. Sie sitzt gerade im Restaurant auf Deck 11, ihr ist das Ganze furchtbar unangenehm. Und da hat sie mich gebeten ...«
»Wie war noch gleich Ihr Name?«
»Lindgren, so wie die Schriftstellerin.«
Er lächelte sein vertrauenerweckendes Lächeln. Das konnte er gut. Er war ein Mann, der karierte Hemden trug. Die uniformierte Dame am Infopoint auf
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