Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Gerangel an der Wand weitergegangen, fatalerweise dort, wo die Bottiche und Säcke mit dem Pflanzendünger gelagert sind, unter anderem ein Trog mit Calciumoxid. Dort hat ihn der Täter kopfüber hineingepresst, in etwa so, wie man jemanden mit dem Kopf unter Wasser drücken würde. Der Effekt ist im Grunde der Gleiche, nur dass es mit Calciumoxid ungleich schmerzhafter für das Opfer ist. Da der Branntkalk mit Feuchtigkeit reagiert, waren die Augen und Schleimhäute natürlich am stärksten betroffen. Das Resultat dieser Verätzung habt ihr ja alle gesehen.«
»Habt ihr eine Erklärung für die nassen Sachen des Toten gefunden?«, fragte Delgado.
»Dazu wollte ich gerade kommen. Es gibt einige offene Fragen: Warum ist der Tote nass? Und wer hat in dem Tropenhaus geschossen?«
»Geschossen?«
»Genau. In dem Glashaus wurde geschossen, mindestens einmal. In der Rückwand, neben der Tür des hinteren Ausgangs, haben wir ein Schussloch in einer der Plexiglasscheiben gefunden.«
Örkenrud machte eine kurze Pause und ließ seine Worte wirken. Er sah in die Runde der versammelten Ermittler, aber niemand nutzte die Pause für eine Zwischenfrage, alle waren darauf gespannt, was der Techniker weiter zu berichten hatte.
»Was wir zweifelsfrei feststellen konnten, ist, dass das Wasser in den Kleidern und Haaren des Toten aus dem Koibassin stammt. Wir haben auf ihm Fischschuppen gefunden und Pflanzenreste sowie die typischen Mikroorganismen.«
»Hat ihn der Täter dort hineingeworfen?«, fragte Lars Knutsson.
»Nein, wir glauben, dass der Täter einen Eimer Bassin-Wasser über dem Leichnam ausgekippt hat. So seltsam sich das anhört. Es lag ein umgekippter Eimer mit den entsprechenden Wasserspuren ein Stück hinter dem Toten, und wir konnten nachweisen, dass das Wasser in dem Eimer etwa zur gleichen Zeit aus dem Becken geschöpft wurde, in dem das Wasser in die Kleider des Opfers gelangt ist.«
»Aber was sollte es für einen Sinn ergeben, Wasser über einem Toten auszuschütten?«, fragte Anette Hultin.
»Darüber habe ich lange nachgedacht. Und ich habe dafür nur eine Erklärung gefunden. Jemand wollte noch zusätzlich Öl ins Feuer gießen.«
»Moment, das verstehe ich nicht«, unterbrach ihn Knutsson.
Nyström ergriff das Wort.
»Er meint das metaphorisch. Stell dir Frost während des Handgemenges vor. Der Täter hat ihn in den Branntkalk gedrückt. Er ist über und über mit dem weißen Staub bedeckt. Der Kopf, der Oberkörper. Er hustet und spuckt und schreit. Er kämpft um sein Leben. Dann gießt der Täter Wasser über den Kalk, die chemische Reaktion wird immens beschleunigt. Es ist, als würde man Öl in ein Feuer gießen.«
Örkenrud nickte zu Nyström herüber.
»Danke, genau das wollte ich damit sagen. Seine Schmerzen müssen in dem Moment gewaltig gewesen sein.«
»Das ist Folter«, sagte Anette Hultin, »er wurde zu Tode gefoltert. Warum tut man jemandem so etwas an?«
Niemand beantwortete die Frage der jungen Frau. Für einen Moment hatte Nyström das Gefühl, sie könne die Bedrückung, die im Raum stand, mit Händen greifen. Örkenrud fuhr fort.
»Das zweite Rätsel sind die Schüsse, die in dem Glashaus abgefeuert worden sind. Wir haben zwei Patronenhülsen gefunden, und zwar einige Meter vor dem Bassin, vom Haupteingang aus gesehen, aber wir haben bis jetzt nur ein Projektil sichergestellt: im Stamm eines Maulbeerbaums hinter dem Gewächshaus. Es ist also quer durch den Raum geschossen worden. Ein Loch in einer Kunststoffscheibe in der Rückwand neben der Hintertür zeigt genau an, wo die eine Kugel ausgetreten ist. Ein zweites Loch haben wir nicht gefunden, deshalb ist es denkbar, dass die andere Kugel sich im Körper des Täters befindet.«
»Aber das würde ja heißen, dass Frost auf den Täter geschossen hat!«, warf Hultin ein.
»Genau. Eine andere Erklärung kann ich nicht liefern. Bis jetzt jedenfalls. Und es würde zu den Blutspuren passen, die wir an der Hintertür und im Garten gefunden haben. Auch wenn die Ergebnisse von dem Vergleichstest noch nicht da sind, können wir ausschließen, dass dieses Blut von Frost stammt. Sein Körper hat gar keine Verletzung, die zu den Spuren passen würde. Des Weiteren gibt es Fingerabdrücke im Glashaus, die nicht vom Opfer selbst stammen. Wir haben sie durch die Datenbanken laufen lassen, allerdings ergebnislos. Ebenso konnten wir Haare am Tatort sichern, die nicht zu Frost gehören. Dann ist da dieser Papierwürfel, den ihr in dem Traktor
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