Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
vorliegen mögen. Johan Lönn ist als junger Mann verschieden, darauf deutete alles hin, und selbst wenn es jetzt, in eurem Fall, Hinweise darauf gibt, dass sich damals die Ermittler geirrt haben könnten und Johan Lönn tatsächlich in einem Winkel im småländischen Wald weitergelebt haben sollte, dann hat es trotzdem nichts mit Hildegard Hedingks zu tun. Deshalb appelliere ich an deinen gesunden Menschenverstand: Wie ich deinen Akten entnehmen konnte, bist du eine begabte Ermittlerin und eine gute Führungspersönlichkeit, Ingrid. Lass die Toten ruhen und einer alten Frau ihren Frieden. Sie hat ihre Aussage gemacht, mit Anwalt und Notar. Belassen wir es also dabei!«
Er lächelte immer noch. Edman verzog sein Gesicht ebenfalls zu einer Fratze, die wohl freundlich gemeint sein und gleichzeitig ein »Es ist für alle besser so« zum Ausdruck bringen sollte. Nyström spürte das Blut in ihren Ohren rauschen. Jetzt sprach Edman, aber sie hörte ihn nicht. Sie sah nur, wie sich sein Mund bewegte. Wie ein Fisch in einem Aquarium. Oder ein Koikarpfen in einem Bassin, dachte sie.
Sie nickte vage, stand auf und verließ den Raum.
Viel später, als sie ihre Worte wiedergefunden hatte und lange Gespräche mit Anders und Gunnar Berg darüber geführt hatte, wurde ihr klar, dass sie in dieser Stunde nach der Unterhaltung mit Edman und Iverus, in der sie auf dem Parkplatz zwischen den Schneeresten in ihrem Toyota gesessen hatte, kurz davor gewesen war, die Ermittlung hinzuwerfen oder den ganzen Job. Sie starrte lange ihr verschwommenes Spiegelbild in der Scheibe der Fahrertür an und dachte über das nach, was sie eben zu hören bekommen hatte. Über ihr Selbstverständnis als Polizistin, über ihren Anspruch, der Gerechtigkeit zu dienen, Unrecht aufzuklären, mitzuhelfen, die schwedische Demokratie zu gestalten. Aus irgendeinem Grund hallten die Worte des verrückten Österreichers Joachim Haber in ihrem Kopf.
Willkürstoot.
Hatten seine obskuren politischen Phrasen vielleicht doch einen wahren Kern? Gab es in Schweden Menschen, die sich nicht wie alle anderen ans Recht halten mussten? Die Macht und Einfluss hatten, rechtsstaatliche Vorgänge, polizeiliche Ermittlungen zu ihren Gunsten zu manipulieren? Sie drückte ihre Stirn an die kühle Scheibe und schloss die Augen.
6
Sie gingen gemeinsam zum Bahnhof, ohne dass ein Wort fiel. Es fühlte sich gut an, neben ihm zu gehen, im Gleichschritt, aber es war diese Art von Wohlgefühl, das man hatte, wenn man Fotos aus glücklichen Tagen anschaute. Sie blieb allein, wie sie es beschlossen hatte, eine Entscheidung, gegen die Sebastians Einwände nichts ausrichten konnten. Auch wenn sie sein Besuch berührte. Zum Abschied legte sie ihre Hände auf sein Gesicht, als könne das den Schmerz betäuben. Sebastian weinte lautlos. Dann machte er sich von ihr los und stieg ein. Die Türen schlossen sich knarrend. Der Zug fuhr an, nahm Fahrt auf und verschwand in der Nacht.
7
Nyström kam wieder zu sich, als jemand fest gegen die Scheibe klopfte. Hinter dem Glas erkannte sie Forss’ Gesicht. Sie deutete mit dem Kopf auf die Beifahrertür. Ihre Kollegin ging um das Auto herum und stieg auf der anderen Seite ein. Nyström schlug der Geruch von Alkohol entgegen. Forss nahm ihre Mütze vom Kopf.
»Ist alles in Ordnung?«
»Mmh. Und mit dir?« Forss’ Worte klangen weich, abgerundet an den Kanten.
Nyström überlegte einen langen Augenblick. Schließlich erzählte sie ihr, was in Edmans Büro vorgefallen war. Forss sah sie lange an. Nyström fragte sich, ob sie betrunken war. Der Alkoholgeruch war stark. Und sie roch noch etwas anderes, etwas sehr Körperliches.
»Wow«, sagte Forss endlich.
»Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
»Ich weiß nicht. Hast du vor, dich zu beugen?«
»Nein! Natürlich nicht! Was glaubst du denn?«, rief Nyström empört. Der Körpergeruch, der von Forss ausging, erfüllte jetzt den ganzen Wagen.
»Dann scheißen wir darauf«, sagte Forss. Nachdem sie sich ihre Pudelmütze über die widerspenstigen dunklen Locken gezogen hatte, klopfte sie Nyström noch einmal auf die Schulter, öffnete die Wagentür und stieg aus. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
Nyström wiederholte die Worte langsam und leise.
»Dann scheißen wir darauf.«
8
Maria wachte auf. Es war dunkel in Loves großem, leerem Haus. Love war noch immer fort, auf einer Fortbildung für Ärzte irgendwo im Norden des Landes. Die Geräusche der Nacht nahmen Gestalt an, rüsteten sich,
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