Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
sehen. Nyström erinnerte sich an die Schlagzeilen aus der Lokalzeitung über die angespannte Finanzlage des Hauses, deshalb ließ sie ihren Dienstausweis in der Tasche stecken und bezahlte den Eintritt. Das Moberg-Zimmer lag ganz hinten, erfuhr sie und machte sich auf den Weg durch die Ausstellung. Hinter einer Glasscheibe war Mobergs Arbeitszimmer nachgestellt, mit seinem Schreibtisch, so wie er in Stockholm gestanden hatte. Da hatte der sonst so liberale Schriftsteller und Journalist also seine konspirativen Texte gegen Homosexuelle geschrieben. Nyström wusste noch immer nicht so recht, was sie hier suchte, aber es fühlte sich richtig an, hier zu sein. Es war etwas anderes als im Internet, es war real, oder wenigstens eine nachgestellte Realität. Sie fing an, die Zeitungsartikel an den Wänden zu lesen: Rezensionen, Berichte, Porträts. Meistens ging es um die Amerikaauswanderer. Über die Kejne- oder die Haijby-Affäre fand sie nichts. Schwulenhetze war kein Thema für das Auswanderermuseum.
Als sie die Tür ihres Büros öffnete, rief ihr Chef an. Dass Erik Edman nach sechs Uhr noch im Präsidium war, war ungewöhnlich. Hatte sie ihn nicht schon vorgestern so spät noch durch die Flure geistern sehen? Der einzige Grund, den sie sich vorstellen konnte, warum Edman am späten Abend ein Gespräch mit ihr wünschte, war, dass er von ihr eine persönliche Einschätzung des Ermittlungsstandes im Fall Frost hören wollte. Sie ging hinüber zu seinem Büro am anderen Ende des Flurs.
Überraschenderweise war Erik Edman nicht alleine. Auf einem der drei eleganten Stahlrohrsessel vor seinem Schreibtisch saß ein ihr unbekannter Mann, der ungefähr in ihrem Alter war. Er trug einen perlgrauen Anzug, der Nyström, die eigentlich kein Auge für solche Dinge hatte, teuer erschien. Beide Männer nickten ihr sachlich zu, Edman bat sie, Platz zu nehmen. Den Mann stellte er als Dr. Kennet Iverus aus Stockholm vor. Mit einem merkwürdigen Gefühl der Beklemmung setzte sie sich in den Sessel, der am weitesten von Iverus entfernt war. Edman bot ihr Wasser an, sie lehnte ab. Dann räusperte er sich vernehmlich und begann zu sprechen.
»Wie du dir sicher denken kannst, geht es um den Fall Frost, an dem ihr, an dem wir alle hier, seit Sonntag arbeiten.«
Nyström merkte, dass ihre Hände feucht waren.
»Du warst gestern in unserer schönen Hauptstadt und hast Hildegard Hedingks einen Besuch abgestattet?«
Nyström sah prüfend in Edmans flaches, ausdrucksloses Gesicht. Sie bekam eine böse Ahnung, worauf dieses Gespräch hinauslaufen könnte.
»Das ist richtig. Wie du vielleicht in den Akten gelesen hast, gibt es eine sehr konkrete Spur, die Hildegard Hedingks mit unserem Mordopfer in Verbindung bringt. Um es deutlicher zu sagen: Wir gehen davon aus, dass Hedingks die Schwester von Frosts Geliebtem ist, Johan Lönn, ein Mann, der interessanterweise 1949 von seiner Familie als vermisst gemeldet wurde und danach nie wieder in irgendeinem behördlichen Zusammenhang aufgetaucht ist. Und da die gesamte Ermittlung im Fall Frost, wie du sicherlich weißt, bis jetzt ein einziges Rätsel ist, bin ich für alles dankbar, was in irgendeiner Weise etwas Licht ins Dunkel bringen kann. Und nach allem, was mir der gesunde Menschenverstand sagt, ist Hedingks eine dieser Lichtquellen, oder vielmehr sie könnte es sein, wenn sie offen mit uns reden würde, anstatt uns Theater vorzuspielen!«
Sie funkelte Edman an. Sie spürte, wie in ihr eine Wut Form annahm, die weit über das hinausging, was der bedauernswerte Lasse Knutsson zu spüren bekommen hatte.
»Nun, liebe Ingrid, ich kann dir versichern, dass du dich irrst.«
Jetzt war es Iverus, der sprach. Ihm gelang es zu lächeln und gleichzeitig zu reden.
»Entschuldigung, aber wer bist du überhaupt, wenn ich das einmal so fragen darf?«
Der Mann lächelte weiter. Edman antwortete an seiner statt.
»Dr. Iverus ist ein ranghoher Beamter aus Stockholm.«
»Ich kann dir versichern, liebe Ingrid, dass du dich auf dem falschen Pfad befindest. Hildegard Hedingks hat heute Morgen in Stockholm eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass sie mit eurem Fall hier in Småland nichts zu tun hat. Weder ist ihr der Name Frost bekannt, noch hatte sie jemals mehr Kontakt zu ihrem Bruder, der bedauernswerterweise in so jungen Jahren verstorben ist. Das ist nämlich das Ermittlungsergebnis, zu dem die Sondereinheit der Polizei damals vor sechzig Jahren gekommen ist, auch wenn dir diese Akten nicht
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