Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
auf, und eine Gruppe Erwachsener trat in die Lichtkegel der Außenbeleuchtung. Zu ihrer Verwunderung erkannte Forss, dass Ingrid Nyström eine der fünf Personen war. Neben ihr stand ein großer Mann in einem Wollmantel, das musste wohl ihr Mann sein. Und die beiden Frauen um die dreißig, das waren vermutlich zwei ihrer Töchter. An ihre Namen erinnerte sich Forss nicht. Außerdem war noch eine alte Frau mit einem Rollator dabei. Die Gruppe der Erwachsenen stand jetzt neben dem Eingang. Forss hörte Lachen und Satzfetzen. Die Kinder jagten sich über den Parkplatz des Restaurants. Dann ging die Tür des Restaurants ein drittes Mal auf. Eine junge Frau in einer auffälligen, violett schimmernden Collegejacke trat zu den anderen. Sie hatte ihre hellen Haare zu zwei Zöpfen gebunden, deren Enden violett gefärbt waren. Wie ihre Jacke. Forss erkannte sie sofort: Es war die lesbische Punkerin, die sie vor einigen Tagen abends in dem englischen Pub am Nebentisch gesehen hatte. Die mit der Irokesen-Freundin, die Knutscherin.
Jetzt verabschiedete sich die Gruppe vor dem Restaurant mit vielen Umarmungen. Das Ende eines Familienabends. Für einen Moment sah Forss die Punkfrau noch einmal im Profil. Sie hatte ganz eindeutig Nyströms Züge: die lange, gerade Nase, die schmalen Lippen, die vollen Wangen. Dann drehte sie sich um, und die Gruppe zerfiel in drei Teile, die auf drei verschiedene Autos zusteuerten.
10
»Nimmst du noch eins?«, fragte Hugo Delgado.
Forss nickte. Delgados Rücken verschwand in einer Menschentraube vor dem Tresen. Der Laden war gefüllt, die Musik war laut: Velvet Underground, Ramones, Stooges. Klassiker. Freitagabendstimmung.
Delgado kam mit zwei Gläsern Bier zurück an den Tisch. Er hatte einen rot-blauen Schal um den Hals. Växjös Fußballmannschaft, hatte er erklärt, Östers IF. Klang wie ein Molkereiprodukt, fand sie, irgendetwas zwischen Milch und Käse. Aber das behielt sie für sich.
»Kann ich dich mal was fragen?«
»Klar.«
»Du und Anette ...«
»Alte Geschichte. Kurze Geschichte. War ein Fehler. Haben wir beide schnell eingesehen.«
»Und jetzt beharkt ihr euch?«
»Rückzugsgefechte. Außerdem ist sie politisch Rechtsausleger, auch wenn sie es anders formulieren würde. Ich bin in ihren Augen ein Einwanderer, auch wenn ich hier geboren bin. Dass sie überhaupt etwas mit mir angefangen hat, habe ich wohl schierer Verzweiflung zu verdanken. Ich glaube, sie hat Angst, als der letzte Single Växjös alt zu werden. Kinderlosigkeit passt nicht gerade in das Selbstbild der Leute hier und in ihres erst recht nicht. Jetzt läuft ihr die Zeit davon.«
Delgado grinste kurz.
»Bevor sie zur Polizei ging, war sie bei der Armee und in einer Leistungssporteinheit. Da war sie mit einem Offizier zusammen, der gleichzeitig ihr Trainer war. Der hat sie dann wegen einer anderen sitzen lassen, einer Bosnierin oder so was. Seitdem wählt sie die Schwedischen Demokraten . Lies dir mal durch, was die so zum Thema Einwanderung und Arbeitslosigkeit schreiben. Das sind Rechte, glasklar.«
»Deswegen dein Sieg Heil ?«
»Ich ziehe sie auf. Sie ist ja kein Nazi, aber tendenziell xenophob. Prost!«
»Skål!«
Sie stießen miteinander an.
»Und du?«
»Ich was?«
»Du weißt schon, Beziehung und so. Gibt es da jemanden in Berlin?«
Stina Forss sah ihr Bier an. Wie die Kohlensäurebläschen in Ketten aufstiegen.
»Netter Laden hier, dieses Café de Luxe «, sagte sie.
Delgado räusperte sich.
»Nicht wahr? Oft sind unten im Keller Konzerte. Mando Diao haben hier gespielt. Und Isolation Years. Schwedenbands. Kennst du die?«
»Mando Diao, ja. Die anderen nicht.«
Dann fiel ihr etwas ein.
»Also ist das hier ein echter Swedish Pub .«
»Irgendwie schon. Nicht besonders traditionell, aber retro«, sagte Delgado.
Ja, retro, das passte. Die Fototapete mit dem Palmenbild war Siebziger-, die Tische und die Stühle Fünfzigerjahre. Wie in Frosts Wohnzimmer, dachte Forss.
»Frost«, sagte sie nach einer Weile, »Frost, der alte Fuchs. Er hat uns alle gelinkt.«
»Ja. Die Geschichte wird immer verworrener. Weißt du, was mir nicht aus dem Kopf geht?«
»Was?«
»Wenn Frost gar nicht Frost ist, sondern Henrik Larsson, was ist dann mit dem echten Frost passiert?«
Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Was war mit dem echten Frost passiert, wenn Larsson seine Identität, seine Papiere übernommen hatte? Hätte er nach seiner Armeezeit sein Leben normal in England weitergelebt, dann
Weitere Kostenlose Bücher