Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
mischte sich einen vierten Gin Tonic. Prost, auf Frosty!
Aber neben seiner Trauer und Wut und Sentimentalität war da noch etwas. Benny Carlsson war nicht nur schwermütig, sondern gleichzeitig aufgekratzt und unruhig. Und das hatte begonnen, als er vorgestern bei der Polizei gewesen war. Etwas ganz hinten in seinem Kopf alarmierte ihn. Aber er kam nicht darauf, was es war.
8
Ingrid Nyström fiel es schwer, sich an diesem Abend auf das Essen zu konzentrieren. Ihr gingen andere Dinge durch den Kopf. Frost war offensichtlich nicht Frost, sondern ein Henrik Larsson aus Uppsala. Obwohl Henrik Larsson vor mehr als sechzig Jahren gestorben war. Wie passte das zusammen?
Ein junger Mann zieht nach seinem Schulabschluss 1944 von Uppsala nach Stockholm und beginnt ein Studium. Seine Eltern sterben, er bricht alle Kontakte ab. Vier Jahre später kommt er in Jerusalem ums Leben. Und einige Monate nach seinem Tod taucht er in Karlskrona wieder auf, als Balthasar Melchior Frost. Er beginnt ein neues Leben. Mit seinem Freund Johan Lönn, einem jungen, schwulen Mann aus besten Stockholmer Kreisen. Ein homosexuelles Paar, das gemeinsam alt wird. Bis Johan in den Neunzigerjahren stirbt. Und Henrik Larsson gefoltert und ermordet wird, in Småland, in einem Glashaus voller Schmetterlinge.
»Oma hat Zaziki am Kinn!«
Der kleine Marcus lachte und zeigte mit dem Finger auf sie. Jetzt lachten auch seine Geschwister, Elise und Thea. Und Jonna, die Cousine. Und Hampus, Jonnas Brüderchen. Dabei hatte Hampus selbst Essen im Gesicht, aber das zählte nicht, denn Hampus war erst ein Jahr alt. Jonna war drei, Elise und Thea, die Zwillinge, waren vier, und Marcus war seit heute sechs. Und das war der Grund, warum sich die ganze Familie im Akropolis versammelt hatte. Nyströms Mutter Gullan, ihr Mann Anders, die Töchter Marie, Anna und Sophie und die fünf Enkel. Sie hatten für Marcus Geburtstagslieder gesungen, und es hatte Geschenke gegeben: einen Hockeyschläger und einen Hockeytorwarthelm, einen Spiderman – Schlafanzug und eine DVD, Ice Age 3 . Nicht zu vergessen die selbst gemalten Bilder der Zwillinge.
»Na, Marcus, also bitte!«, sagte seine Mutter Marie.
»Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute«, krähte Elise.
»Aber er hat ja recht«, sagte Ingrid, »ich esse wie ein Ferkel.«
Die Mädchen kicherten.
»Außerdem ist heute sein Geburtstag, da darf man auch mal mit dem Finger auf Leute zeigen, vor allem, wenn sie Essen im Gesicht haben. Oder, Marcus?«
Marcus nickte heftig. Marie warf ihr einen genervten Blick zu. Misch dich nicht in meine Erziehung ein, sollte das heißen. Und damit hatte sie im Grunde recht. Aber ihr tat Marcus leid. Es war jetzt der sechste Geburtstag, den sie miteinander feierten, und es war das sechste Mal, dass sein Vater nicht dabei war. Leif war Ingenieur und arbeitete auf einer Bohrinsel in Norwegen. Was nicht automatisch bedeutete, dass er zu Hause war, wenn er nicht arbeiten musste. Das war allerdings ein ganz anderes Thema und gehörte mit Sicherheit nicht an den Geburtstagstisch von Marcus. Obwohl es auffällig war. Denn es war nicht nur Leif, der fehlte. Sophies Mann, also Sophies Exmann, Erik, war schon Monate vor Jonnas Geburt aus dem Blickfeld der Familie verschwunden und hatte Sophie außer einer ungeborenen Tochter nur seinen Nachnamen und ein halb fertig gebautes Haus in Hovshaga hinterlassen. Und Hampus’ Vater ... aber das war nun wirklich ein anderes Thema.
Ja, und dann war da Anna, ihre jüngste Tochter. Anna würde im Sommer zwanzig werden und hatte überhaupt noch keinen Freund gehabt. Jedenfalls soweit Ingrid das wusste. Warum eigentlich nicht? Anna war doch hübsch mit ihrem fein geschnittenen Gesicht und dem sportlichen Körper. Intelligent und kontaktfreudig war sie auch, das hatte sie von Anders. Nur ihre Haare! Wenn sie endlich einmal diese fürchterliche Frisur ändern würde!
Drei Töchter hatte sie. Und keine hatte eine funktionierende Beziehung. Es war auffällig. Aber woran lag es? Anders war ein guter Vater gewesen, war es immer noch. Er liebte seine Töchter, und seine Töchter liebten ihn. Er war jederzeit da gewesen, wenn sie ihn brauchten, soweit das sein Amt als Pastor zugelassen hatte, jedenfalls. Gut, sie hatten keine geregelten Wochenenden gehabt wie andere Familien und keine drei Wochen Badeurlaub an der Costa Brava, aber sie hatten als Familie funktioniert und zusammengehalten.
Oder lag es daran, dass sie selbst zu wenig zu Hause
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