Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
hätten sie etwas über ihn in den britischen Registern finden müssen. Eine Adresse, ein Todesdatum, irgendetwas. Aber alles hörte mit seinem Eintritt in die Truppe auf. Und vom britischen Verteidigungsministerium hatten sie noch immer keine Antwort erhalten. Es gab ein Loch in seiner Biografie: den Zweiten Weltkrieg und die Jahre danach. Irgendwo in diesem Loch war der echte Balthasar Melchior Frost verschwunden, und irgendwie war Henrik Larsson aus diesem Loch herausgekrochen. Wie aus einem Fuchsbau.
»Sie müssen sich begegnet sein. Während des Kriegs. Oder kurz danach«, sagte Forss.
»In Schweden?«
»Vielleicht in Israel.«
»Warte mal, gab es da überhaupt schon Israel? Als Staat meine ich?«
»Seit 1948, glaube ich. Bis dahin war Palästina unter britischem Mandat.«
»Britisch?«
»Ja.«
»Sicher?«
»Ja.«
11
Anette Hultin trainierte wie jeden zweiten Abend in der Woche: Kondition, Intervallläufe, Weitsprung. Schließlich feilte sie noch eine Dreiviertelstunde an den Bewegungsabläufen fürs Speerwerfen. Am Sonntag standen Krafttraining und Kugelstoßen auf dem Programm, am Dienstag Hürdenlauf und dann wieder Sprints.
Das war das Problem, wenn man Siebenkämpferin war: Sobald sie in einer Disziplin an Boden gewann, verlor sie an anderer Stelle wieder wichtige Zentimeter oder Sekundenbruchteile. Im Grunde wusste sie bereits seit Wochen, dass es dieses Jahr wieder nicht reichen würde für die Qualifikation für die Landespolizeimeisterschaft. So wie im vergangenen Jahr und im Jahr davor. Aber nie war sie so knapp davor gewesen wie in dieser Saison. Sie hatte richtig Gas gegeben, über Monate hinweg. Sie hatte das Trainingssystem umgestellt und ihre Ernährung. Sie hatte die Laufschuhe gewechselt und sich sogar verdammt noch mal die Haare kurz geschnitten! Und dann hatte der Bänderriss im November alles über den Haufen geworfen, wofür sie so lange geackert und gekämpft hatte. Bums, aus, vorbei. Weil irgendein Schwachkopf seine Wasserflasche auf der Tartanbahn hatte liegen lassen! Sie war ausgerutscht und umgeknickt und Schluss im Karton! Seit Wochen versuchte sie den Trainingsrückstand aufzuholen, aber die Zeit lief ihr einfach davon, das zeigte ihr dieser Abend sehr deutlich. Im Speerwurf fehlten ihr noch mehrere Meter von ihrer Novemberform, im Weitsprung fünfzehn Zentimeter. Auf dem Niveau, auf dem sie Leichtathletik machte, waren das Welten. Damit konnte sie vielleicht bei den beknackten Regionalmeisterschaften teilnehmen, aber für die Landespolizeimeisterschaft sah sie schwarz.
Als sie zu Hause war, stellte sie sich lange unter die Dusche. Das heiße Wasser spülte einen Teil der Frustration weg. In der Küche widerstand sie der Verlockung einer Tiefkühlpizza. Delgados Lästereien über schwedisches Essen klangen immer noch nach. So ein Idiot! Stattdessen machte sie sich einen Salat aus Wirsingkohl und Äpfeln. Mit dem Teller auf dem Schoß setzte sie sich vor ihren Laptop. Sie loggte sich bei der Partnerschaftsseite ein und ging die Mails durch, die sie bekommen hatte:
Ein voll verrückter Verwaltungsangestellter aus Värnamo.
Der ein bisschen verrückte Industriemechaniker aus Jönköping, der sich letzte Woche schon einmal gemeldet hatte.
Ein crazyboy79 aus Växjö, Installateur.
Warum legten eigentlich alle in ihren Selbstdarstellungen so großen Wert darauf, für verrückt gehalten zu werden? Normalerweise war man doch um das Gegenteil bemüht. Wenn man sich in einer Bar oder beim Bowling kennenlernte, dann stellte man sich schließlich auch nicht vor mit Hallo, ich bin Sven, ich habe psychische Probleme .
Nein, mit ihrem total verrückt wollten die Kontaktanzeigler betonen, dass sie um Gottes willen keine durchschnittlichen Langweiler waren. Hultin sah auf das Foto vonc razyboy79 . Auf das ärmellose T-Shirt mit dem Bad-Motherfucker – Aufdruck, auf die Sonnenbrille mit dem neongelben Rand, auf die Schirmmütze mit den Bierdosenhaltern an der Seite. Ach crazyboy , dachte sie, du bist ja ein ganz verrückter Hund. Dann loggte sie sich wieder aus. Sie aß von ihrem Salat. Irgendwie fehlte etwas. Wie in ihrem Liebesleben. Nüsse, dachte sie, ich habe die Nüsse vergessen. Lustlos kaute sie auf dem Wirsing und auf den Apfelstücken herum, aus Langeweile klickte sie sich durch ihre Favoritenliste.
Bei Dagens Nyheter las sie die Schlagzeilen, bei TV4 das Fernsehprogramm, bei einem Internetauktionshaus gab sie Wohnzimmertisch ein, fand aber alle angezeigten Treffer zu
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