Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Krebsessen, zu dem er jeden August in seine dreistöckige Villa in Evedal einlud, war eines der größten gesellschaftlichen Ereignisse im Kalendarium der Stadt. Im vergangenen Herbst, zu seinem sechzigsten Geburtstag, hatte es ein Feuerwerk über dem Helgasee gegeben, für das er einen Raketenmeister aus Japan hatte einfliegen lassen. Bingström war kein Mann für Understatement.
Jetzt saß der Geschäftsmann mit der Skiurlaubsbräune im Verhörraum Nummer 2 des Växjöer Polizeipräsidiums und klopfte mit den Fingern einen Sambarhythmus auf die Tischplatte.
Ingrid Nyström war angespannt. Sie hatte einen der mächtigsten Männer der Stadt zum Verhör geladen, eine Figur des öffentlichen Lebens, wie es so schön hieß, einen Sympathieträger. Wenn das hier schiefgeht, dachte sie, dann wird es nicht gerade einfacher für mich. Das Dumme war, dass sie im Grunde kaum etwas in der Hand hatte. Einen Namen in einem zerfledderten Notizbuch, die Erinnerung eines Perückenmachers, einen verjährten Grundstücksdeal. Und eine Theorie.
Laut Benny Carlsson hatte die Erpressung von Larssonbegonnen, nachdem er einen Wasserschaden in seinem Haus gehabt hatte. Und wen rief man bei einem Wasserschaden? Richtig, den Klempner. Oder Abfluss-Åke, wie Bingströms Einmannunternehmen in den Achtzigerjahren geheißen hatte, damals, bevor er mit Immobilien ganz groß rausgekommen war. Und Åke war draußen im Haus im Wald bei Larsson und Lönn gewesen, das hatten sie schwarz auf weiß; zehn Arbeitstage im Frühjahr 1983. Hultin hatte während einer der ersten Besprechungen von umfangreichen Ausbesserungsarbeiten am Haus berichtet. Dann hatten sie genauer nachgesehen und die Rechnung in Larssons Unterlagen gefunden, von Åke, dem Klempner: Reparatur eines Wasserschadens und andere Sanitärarbeiten, 8500 Kronen.
So weit nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war dagegen, dass von dem Moment an jeden Monat 10000 Kronen von Larssons Konto geflossen waren, und das über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg. 10000 mal zwölf mal sechs. Das machte eine Gesamtsumme von mehr als 700000 Kronen. Larsson hatte die monatlichen Beträge in seiner Buchführung als Raten einer Lebensversicherung angegeben, und deshalb war Hultin bei der Durchsicht der Unterlagen zunächst nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Der Witz war nur, dass es überhaupt keine Lebensversicherung gegeben hatte beziehungsweise dass das, wofür Larsson im Laufe der Jahre ein Vermögen gezahlt hatte, wahrscheinlich eine Lebensversicherung der ganz anderen Art gewesen war: Mit seinen Zahlungen sicherte er sich ein Schweigen, um weiter das Leben führen zu können, das er sich ausgesucht hatte, das Leben im Versteck. Ende der Achtzigerjahre hörten die Zahlungen abrupt auf. Dafür geschah etwas anderes: Larsson verkaufte seine Baugrundstücke am Helgasee an eine kleine Immobilienfirma mit Sitz in Åby. Inhaberin war eine Sophie Malmgren. Diese Sophie hieß allerdings seit mehr als zwanzig Jahren Bingström und war Jan-Åkes Ehefrau. Der Verkaufspreis für die Grundstücke hatte 720000 Kronen betragen, etwa so viel, wie Larsson einige Jahre zuvor dafür bezahlt hatte, zu einem Zeitpunkt, wo jedes halbwegs helle Köpfchen schon die zu erwartende Wertsteigerung absehen konnte. Darüber hinaus entsprach der Verkaufspreis an Sophie Malmgren in etwa genau der Summe, die Larsson über die Jahre in seine sogenannte Lebensversicherung eingezahlt hatte. Bingström hatte also Larsson erpresst, bis er genügend zusammenhatte, um sein schmutziges Geld rentabel zu investieren: in Larssons Grundstücke am Helgasee, deren Wert in den folgenden Jahren in den Himmel schoss. Mehr als zwanzig Jahre später musste etwas vorgefallen sein, das Bingström dazu gebracht hatte, das Opfer und den Zeugen dieser unglaublichen Erpressung für immer mundtot zu machen.
So weit die Theorie. Was sie allerdings in Hinblick auf die Praxis brauchten, war ein belastbarer Beweis: die Übereinstimmung eines Fingerabdrucks vom Tatort, eines Haars, der Blutprobe. Oder noch besser, Bingströms Geständnis.
7
Er war schon den ganzen Tag über unruhig gewesen. Draußen vor dem Fenster fiel lautloser Regen. Der Stamm der Kiefer in seinem Garten glänzte wie Bronze. Der Schmerz in seinem Inneren war nur mehr ein dumpfes Brummen, eigentlich fühlte es sich gar nicht mehr wie ein Schmerz an, eher wie ein Loch. Kurz überlegte er, ob er seine Mutter anrufen sollte. Dann entschied er sich dagegen, obwohl er wusste, dass sie darauf
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