Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
wartete. Mehrfach hatte das Telefon geläutet in den letzten Tagen, aber er hatte nicht abgenommen, weil er keine Lust gehabt hatte, mit ihr zu sprechen. Er trank von dem Wasser, das vor ihm auf dem Tisch stand. Es schmeckte abgestanden, alt und nach Verzweiflung.
Was sollte jetzt werden? Wie sollte er nur an das kommen, was er so dringend brauchte. An das, was er war . Was er werden sollte .
Der verfluchte Alte war tot, daran war nichts zu ändern. Und da war diese Frau gewesen. Ihr dunkles, schönes Gesicht spukte durch seinen Kopf. Woher nur kannte er sie? Es wollte ihm nicht einfallen. Er goss das Wasser auf den Teppichboden. Im grauen Flor bildete sich ein dunkler Fleck.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie zu ihm finden würden. Nicht so schnell jedenfalls. Die Polizisten musterten ihn lange, prüften ihn, wie er fand, aber was sollten sie schon wissen? Er war hart wie Fels, sicher wie eine Festung. Ein Habicht, der hoch oben im Gebirge sein uneinnehmbares Nest gebaut hat. Sollten sie es versuchen, sollten sie doch kommen. Sie hatten nicht den Hauch einer Ahnung. Der eine Bulle saß ihm gegenüber, er schien der Schlauere zu sein, der Boss. Der andere hielt sich im Hintergrund. Also lenkte er seine Konzentration auf den Schlauen am Tisch. Auf das Glitzern in seinen Augen. Wusste er vielleicht etwas? Hatte er einen Fehler gemacht? Etwas, woran er nicht gedacht hatte? Oder, und diese Möglichkeit durchfuhr ihn wie ein Stromschlag, hatte es etwas mit dem Dschinn zu tun? Hatte die schwarzhaarige Teufelin die Bullen auf ihn gehetzt?
»Was kann ich für euch tun?« Er lächelte.
»Nach unseren Unterlagen bist du der Halter eines Volvo V40 mit dem amtlichen Kennzeichen LGR – 386. Ist das richtig?«
»Ja?«
»Dieser Wagen wurde letzte Woche an der L31 Richtung Vetlanda auf dem Seitenstreifen sichergestellt. Vollkommen ausgebrannt.«
»Ausgebrannt? Vetlanda?«
»Das liegt in Småland.«
Jetzt trat der andere Uniformierte nach vorne.
»Du spielst nicht zufällig Schach, oder?«
Der Polizist sagte es mit einem Feixen, als habe er gerade einen Witz gemacht.
8
Ingrid Nyström und Lars Knutsson betraten das Verhörzimmer. Sie nahm gegenüber von Bingström Platz, Knutsson stellte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Wand neben die Tür. Eine Videokamera an der Decke sorgte für die Aufzeichnung des Gesprächs. Im Nebenzimmer standen Anette Hultin und Hugo Delgado vor einem Bildschirm und sahen zu. Bingström hatte sich weit in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Arme vor sich auf den Tisch gelegt. Sein Hemd spannte über seinem Brustkorb, und die Ärmel waren so weit hochgerutscht, dass sie den Blick auf eine überproportional große, kupferfarbene Armbanduhr freigaben. Alles an seiner Körperhaltung sollte Entspanntheit und Souveränität signalisieren. Er grinste, ein Grinsen, das Furchen in sein Gesicht riss. Seine gebräunte Haut erinnerte Nyström an einen Lederball, der viele Winter über im Garten gelegen hat.
Nyström räusperte sich, dann begann sie zu sprechen.
»Jan-Åke, kannst du mir davon erzählen, was deine erste berufliche Laufbahn war? Bevor du Makler geworden bist?«
Bingström sah sie an, musterte sie, beinahe ein bisschen neugierig. Sein Grinsen war jetzt ein Schmunzeln.
»Deswegen hast du mich hergeholt? Der Indianer, der mich abgeholt hat, hat irgendetwas von Mordermittlung gefaselt. So ein Wichtigtuer! Das hättet ihr einfacher haben können, meinen Werdegang kennt doch jeder. Den kannst du sogar bei Wikipedia nachlesen oder auf meiner Website. Aber gut, wo ich schon mal hier bin: Ich war im Sanitärbereich tätig. Versorgung und Entsorgung. Ein krisenfestes Einkommen war das. Kacken müssen die Leute immer, oder?«
Bingström lachte über seinen Spruch. Dennoch hatte Nyström das Gefühl, dass er genau registrierte, dass sie bei seinem Fäkal-Ausdruck zusammengezuckt war. Verdammt, dachte sie, Gunnar Berg, du hättest nicht gezuckt.
»Ja, ja, Kacken ist krisenfest, aber Wohnen auch. Und die Gewinnspanne ist deutlich höher. Deswegen bin ich dann ins Immobiliengewerbe gewechselt. Das Resultat kennt wohl jeder. Ich habe inzwischen das größte Maklerbüro zwischen Malmö und Kalmar, wenn ich das einmal so sagen darf.«
Bingström nahm die Hände vom Tisch und verschränkte sie hinter seinem bulligen Kopf. Der Blick, den er Ingrid Nyström zuwarf, hatte etwas, das gleichzeitig abschätzend, belustigt und herausfordernd war.
»Das ist genau der Punkt, der mich
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