Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
auf dich hören. Und dann bist du ausgeflippt.
War es nicht so, Åke?
Ist es nicht genauso passiert?
Ein Streit?
Frost zieht plötzlich eine Pistole, schießt um sich, und du wehrst dich, ringst ihn nieder, und da steht der Bottich mit dem Kalk, und du drückst ihn hinein, immer weiter hinein, und irgendwann ist alles still und aus und vorbei, oder,Åke?«
Bingströms Miene gab keine innere Regung preis. Eine Minute lang war es vollkommen still im Raum. Schließlich beugte Bingström sich vor. Er lächelte ein seltsames Lächeln.
Sie wollte es ihm leicht machen. Sie wollte Vertrauen suggerieren. Eben war sie die harte Polizistin gewesen, jetzt konnte sie die verständnisvolle Mutter sein, bereit, die Beichte des reumütigen Kindes entgegenzunehmen. Deshalb beugte sie sich ebenfalls vor, weit über den Tisch. Sie sah in die Augen seines regungslosen Gesichts. Sein Mund war jetzt direkt neben ihrem Ohr.
»Ich mach dich fertig, du dumme Fotze!«
Sie hatten ihn schließlich gehen lassen müssen. Bingström hatte recht, sie hatten nichts gegen ihn in der Hand. Dennoch war sich Ingrid Nyström nach dem Verhör vollkommen sicher, dass Bingström ihr Mann war. Sie hatten ihm eine Haarprobe entnommen und die Fingerabdrücke, darauf konnten sie hoffen, denn Bingström hatte gelogen, das hatte sie gespürt, ebenso wie die Gewalttätigkeit, die ihn umgeben hatte wie ein Gravitationsfeld. Seine Drohung hallte in ihrem Kopf wider, wurde beinahe schmerzlich spürbar. Es schüttelte sie. Aber sie wusste auch, dass man vor einem solchen Menschen keine Angst haben durfte, denn davon ernährten sich Leute wie Bingström, von der Furcht anderer Menschen. Larsson und Lönn hatten das zu spüren bekommen, Bingström hatte sich auf dem Fundament ihrer Angst eine Karriere aufgebaut.
Sie musste versuchen, das Gute an der Sache zu sehen. Ihnen war ein Durchbruch gelungen, sie hatten endlich einen dringend Tatverdächtigen mit einem konkreten Motiv. Bingström war eine doppelköpfige Schlange, und er wohnte in einem goldenen Schloss. Es passte alles.
Die ganze verworrene Geschichte um Frost und Larsson, um die lügende Frau Hedingks und ihren Versuch der Einflussnahme auf die Ermittlung, um Jerusalem und irgendwelche Attentäter, um den abgetrennten Finger und den zu einem Papierwürfel gefalteten Parkschein, das alles war auf einmal ganz weit weg und spielte keine Rolle mehr. Es drehte sich um eine einfache Erpressung durch einen vulgären Charakter. Das Böse konnte so banal sein. Jetzt mussten sie ihn nur noch festnageln.
Um sechs machten sie Feierabend. Sie hatten gemeinsam entschieden, die Ermittlung vorläufig allein auf Bingström zu konzentrieren, und die anderen geplanten Verhöre bis auf Weiteres verschoben. Hildegard Hedingks wird sich freuen, dachte Nyström, ihr bleibt die lange Anreise aus Stockholm vorerst erspart. Alle waren sich darin einig, dass der Stadtrat unter starkem Tatverdacht stand, nur Forss hatte sich nicht geäußert. Nyström hatte registriert, dass sie mit ihrem Kaffeebecher in einer Ecke gesessen und wie so oft auf ihrer schiefen Unterlippe herumgekaut hatte.
Sie würden am nächsten Morgen noch einmal zu Larssons Haus hinausfahren und alles auf den Kopf stellen, um nach irgendetwas zu suchen, das die Erpressung durch Bingström belegen könnte. Die Chancen, einen Beweis zu finden, waren wahrscheinlich minimal, aber sie durften nichts unversucht lassen. Dann würden sie Bingström zu einem weiteren Verhör auf das Revier bestellen und einen neuen Versuch unternehmen, ihn zum Reden zu bringen oder ihn wenigstens in Widersprüche zu verwickeln. Örkenrud und seine Leute machten bereits Überstunden im Labor.
Als Nyström schließlich das Polizeigebäude verließ, war es längst dunkel geworden. Hultin begleitete sie hinaus. Vor dem Haupteingang verabschiedeten sie sich, Hultin hatte am Morgen das Glück gehabt, einen der wenigen Dienstparkplätze hinter dem Revier zu ergattern. Nyström ging die zweihundert Meter weiter Richtung Storängsgatan und Eisenbahnschienen, wo ihr Toyota auf dem gebührenpflichtigen Kommunalparkplatz stand. Da die Geschäfte in der nahe liegenden Fußgängerzone bereits am Nachmittag geschlossen hatten, war der Parkplatz menschenleer und im trüben, orangefarbenen Licht der drei Laternen, die den Platz beleuchteten, standen nur wenige Wagen.
Sie sah den Angreifer weder kommen, noch hatte sie irgendwas gehört. Der schwarze Schatten war plötzlich neben, vor, über ihr. Sie
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