Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
hinkriegen muss, dass die Trauergemeinde das nicht merkt.
Du bist nun alt. Auch Krokodile sterben an Altersschwäche, wenn sie hundertfünfzig Jahre alt sind, sagt Schöni. Ein Kolibri hat einen Flügelschlag von zweitausend in der Minute, dem entsprechend ist die Herzfrequenz, der Kolibri lebt nur zwei Jahre. Ich erscheine als Kolibri, bin aber eigentlich ein Krokodil, sagt Schöni. Die Zukunft sei ihm egal, bei hohem Alter oder Krankheit besorge man sich eben zweihundert Betablocker, dann sei die Sache erledigt.
Aus dem Leben einer älteren Dame – Immerblond
So richtig dabei gewesen ist man immer erst in der Erinnerung.
Ludwig Marcuse
Blond war ich immer. Vom schüchternen Kinderblond über entschlossenes Platinblond zum dezenten Haselnussblond. Mein Gesicht ist das Gesicht einer älteren Frau. Nasolabialfalten, Hängebäckchen, an schlechten Tagen Tränensäcke. An guten Tagen ein strahlendes Lachen, denn Lachen liftet, darauf bin ich angewiesen; das sage ich auch meiner Zahnärztin, mit der ich um jede kranke Wurzel kämpfe, Zahn um Zahn. Gegen alle dentistischen Ratschläge und jeden ökonomischen Verstand, die Front muss stehen, wenigstens für die nächsten fünf Jahre. Ich darf mein Gesicht nicht unbeaufsichtigt lassen, dann fällt es wer weiß wohin. Deshalb ziehe ich die Mundwinkel hoch, unmerklich und doch wesentlich, eine Art Gymnastik der Lineamente, die den Effekt hat, dass Leute mich anlächeln und nicht wissen warum und dass auch ich gute Laune kriege und nicht weiß warum.
Meine Kinnpartie ist eine Rutschpartie, anfällig für jegliche Attacken der Zeit. Ich hatte mal ein klares Profil, jetzt könnte man es als verschwommen bezeichnen. Du musst die Backen aufblasen, riet eine Kollegin, wo du nur kannst, die Backen aufblasen, sie machte es vor. Und wenn du deinen Hals glätten willst, zieh ihn lang, wie wenn ein Pferd Blätter vom Baum frisst. Manche Frau über fünfzig sieht auch auf der Straße oder imFernsehen aus wie ein Pferd, das Blätter vom Baum frisst, ein Nebeneffekt konsequenten Anti-Aging-Trainings. Was mal als schön galt, stellt sich irgendwann als Problem heraus: Je länger der Hals, desto mehr Falten. Aber wer möchte schon tauschen – Schönheit gegen Spurenlosigkeit?
Damals war mein Gesicht klein, oval, androgyn, die kräftige Nase stand darin wie ein Ausrufezeichen in einem Fragesatz. Mein Gesicht war erwartungsvoll, später hat es Karriere gemacht, die Erwartung ist dem Bescheidwissen gewichen. Mein junges Gesicht hatte einen Ausdruck von Neugier, heute ist die Neugier von Gelassenheit abgelöst worden, das entspannt, was nicht nur von Vorteil ist. Mein Gesicht war vor allem eins: in progress, heute muss ich es nehmen, wie es ist, ein Produkt zwischen Fragment und Reife. Von der Reife bis zur Fäulnis ist nur ein kleiner Schritt – über dieses Bonmot habe ich früher gelacht, heute ist es nichts als eine Feststellung, zu wahr, um schön zu sein.
Als ich jung war, wog ich zweiundfünfzig Kilo, ich fand mich zu dünn. Kein Arsch und kein Tittchen, siehst aus wie Schneewittchen. Ich fühlte mich zu groß, Einmetervierundsiebzig, seht ihr den Hut dort auf der Stange, das ist die Lange. Im Verständnis meiner Umwelt sowie in meinem eigenen war ich eine Bohnenstange. Das änderte sich, als mich ein Pressefotograf fragte, ob ich nicht für ein Zeitungsfoto posieren wolle, ab sofort fühlte ich mich weder zu dünn noch zu groß. Die Anerkennung der Straße ließ auf sich warten. Dafür wurde ich Fotomodell. Das heiße Licht der Scheinwerfer löste Euphorie aus, jedes gedruckte Foto war der Beweis: Sie ist Mannequin, was heißt hier Bohnenstange.
Seit einiger Zeit sagen Verkäuferinnen, während sie fachmännisch meine Figur mustern: Das dürfte eine Zweiundvierzig sein! Bei Hosen trage ich die Vierzig, bemerke ich dann, ein bisschen eingeschnappt, ein bisschen ertappt. Neulich hat mir ein alerter Boutiqueverkäufer einen breiten Ledergürtel mit massiver Silberschnalle empfohlen, weil der die Pölsterchen überdecke. Ich kaufte den Gürtel mit der festen Absicht, ihn ab sofort über jedem Pullover zu tragen, Sophie guckte auf den Gürtel und fragte: Sadomaso, Mama? Seitdem überlege ich, wem ich mit dem Gürtel eine Freude machen könnte.
Im Grunde bin ich zufrieden mit der Zweiundvierzig, ich denke nicht daran, ein Leben ohne Spaghetti Puttanesca und sizilianischen Rotwein zu führen. Ich erwäge eher, auf Jeans mit hohem Bund umzusteigen, weil sie die Polster besser
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