Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
verteilen. Ich habe vor, mir Wäsche der Firma Formula anzuschaffen, die, wie der Name verspricht, alles wieder in Form bringen soll; mit reizvoller Unterbekleidung hätte das allerdings nichts mehr zu tun, es wäre ein angemessener Akt der Kapitulation. Frau M., die sich in ihren reifen Jahren überraschend einen Liebhaber, ja eine Liebe zulegte, wollte die erste Verabredung mit ihm absagen, weil sie nicht die passende Wäsche hatte. Trotz ihrer mit dem Alter zunehmenden Neigung zum Kontemplativen raffte sie sich auf, kaufte passende Wäsche ein und eroberte den Mann ihrer späten Träume.
Meine erste richtige Wäschegarnitur hatte mir Oma Lieschen zur Einsegnung geschenkt, Charmeuse, grün, die seidige Oberfläche vermittelte eine scheue Andeutung von Erotik. Ich zog die Charmeusegarnitur nur an, wenn ich sonnabends tanzen ging. Da war ich Sylvie,ein Mädchen von fünfzehn Jahren, das gespannt war, auf die Welt und sich selber. Unvergessen das Saalbau-Ritual. Jeden Sonnabendnachmittag, wenn Sylvie sich für den Saalbau zurechtmachte, roch es in der Küche nach Steckenpferd-Seife und Make-up von Coloran. Die Wimperntusche befand sich in einem kleinen Kasten, man musste draufspucken, damit sie flüssig wurde und man sie mit einem Bürstchen auftragen konnte. Wenn das Küchenfenster offen stand, vermischte sich der Geruch nach Glätt-Frisiercreme mit dem nach gemahlenen Knochen, der von Machmüller, dem Schlachter, über den Hof hochzog, zu einem Duft, den Sylvie ihr Leben lang nicht vergaß, den Saalbauvorfreudeduft. Sonnabend für Sonnabend seifte sie sich von Kopf bis Fuß ab und zog die grüne Charmeusewäschegarnitur an. Auf einem Hocker stand die weiße, von einem blauen Streifen umrandete Emailleschüssel mit warmem Wasser, daneben die Flasche »Immerblond«, das Präparat, das ihr Haar hell hielt. »Immerblond« war die früheste kosmetische Maßnahme, denn ihr Haar begann, dunkler zu werden.
Sie hatte bemerkt, dass die Chancen der Mädchen mit der Blondheit ihrer Haare stiegen, »Die blonde Hexe« mit Marina Vlady war der Film der Zeit. Die Marlon Brandos im Saalbau waren kinokundig; sie wussten Bescheid, sie nannten alle Mädchen »Blondi«, blond sein hieß begehrt sein. Sie hätte auch ins Badezimmer gehen können, aber der Badeofen war kalt, und in der Küche stand das Radio, »Rock around the clock« sang Bill Haley an den Sonnabendnachmittagen. Sie drehte die Lautstärke bis zum Anschlag, sie fühlte, das war der Anfang. Der Anfang eines Lebens, in dem alles immer schöner werden würde. Es war der Rausch vordem Start, den man nie vergisst, der Drive für ein ganzes Leben. Brust raus, Bauch rein, mahnte Erna, Sylvies Großmutter, und dass ein Mädchen kleine Schritte macht und niemals ohne Hüfthalter geht. Jeden Sonnabend zog sie das schwarzweiß gestreifte Kostüm an. Der Rock war so eng, dass sie Schritte machen musste, die Ernas Maßgaben bei weitem unterboten. Das Kostüm blieb das einzige Kleidungsstück, das gut genug für den Saalbau war. Bis das kleine Schwarze dazukam, genau so eng, genau so offensiv, mit einem dreieckigen Rückenausschnitt.
Ich bin den Vorlieben des Mädchens Sylvie treu geblieben. Die kleinen Schwarzen trug ich vier Jahrzehnte lang. Eines Morgens entdeckte ich an der Innenseite meines rechten Oberarms Haut, die mit dem Wort welk hinreichend poetisch beschrieben ist. Seitdem sehe ich die Primeln auf meinem Balkon mit mehr Empathie und hoffe, dass die welken unter ihnen sich wieder aufrichten, wenn ich sie gieße. Ich hätte ins Fitnessstudio eilen und einen Jahresvertrag abschließen können. Ich hätte wie Anna Wintour, die ehrgeizige Chefredakteurin der amerikanischen »Vogue«, meine Oberarme trainieren können, bis sie aussehen wie die eines muskulösen Jünglings, der auf keinen Fall schwul sein will. Dafür braucht man einen starken Willen. Weil ich mich kenne, zog ich andere Konsequenzen. Jener Morgen war das Ende für das kleine Schwarze. Es hatte in meinem Leben eine tragende Rolle gespielt, ärmellos, figurbetont, tief ausgeschnitten, Schwarz braucht Haut. Ich hatte sieben kleine Schwarze in meinem Kleiderschrank, sie haben mir begeistert gedient, immer bereit für eine Nummer auf der Bühne des Lebens. Ich ersetzte die sieben kleinen Schwarzen durch ein großesSchwarzes, netter Kragen, Bauchraffung, lange Ärmel; bereits auf dem Bügel sieht man dem Kleid mein Alter an. Schwarz braucht keine Haut mehr, wenn man zu faul ist, jeden Tag mit Hanteln zu hantieren.
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