Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
mir in meinem Alter noch leisten kann, Leute zu verschrecken.
Auch seine Verbindungen mit Frauen spielten sich stets in der Öffentlichkeit ab. Er konnte sich nie vorstellen, mit einer Frau zu Hause auf dem Sofa zu sitzen, fernzusehen und zu Familiengeburtstagen und privaten Partys aufzubrechen: Ich fand immer, dass das gesellschaftliche Moment Vorrang hat. Zu einer Zweierbeziehung gehöre die dritte Sache, die gemeinsame Arbeit müsse das Bindeglied sein, gemeinsame Überzeugungen. Dann doch noch eine spöttische Sottise: Die Stellung im Bett ist nicht unabhängig von der Stellung im Klassenkampf.
Ein Kellner legt etwas in einer gestärkten weißen Serviette auf den Tisch. Ein Ring, schweres Weißgold, mit einem kleinen Brillanten innen und einem großen, aufwendig gravierten M außen, den hat er neulich beim Händewaschen vergessen. Der kleine Brillant, hatte die Designerin übermitteln lassen, sei der Stein der Weisen. Ich trage sowas eigentlich nicht, sagt er, solche Ringe, aber den hier hat mir Udo Lindenberg zum vierundsiebzigsten Geburtstag geschenkt, Lindenberg, Freund seit Jahrzehnten. Michel war es, der seinen legendären Auftritt damals in der DDR organisiert und gemanagt hatte. Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow.
Linke Überzeugung ist die Konstante seines Lebens. Die Mutter mit dem schönen saarländischen Namen Katharina Didier, eine große, schmale Frau mit dunklem Herrenschnitt und einer Vorliebe für Orientzigaretten, engagierte sich früh bei den Sozialisten. Michel, ihr Sohn, hat sie bewundert, auch er wollte die Welt verändern, das Unmögliche realisieren: Als ich jung war, dachte ich, dass ich alles kann, ich glaubte, dass ich allen überlegen bin. Dass ich jeden mit links an die Wand drücken kann. Dass ich alles erreiche, was ich will, und so war es auch. Im Alter habe sich das grundlegend geändert. An die Stelle von »Alles können« sei die Einsicht durchschlagender Wirkungslosigkeit getreten. Als alter Mann habe er eingesehen, dass die Dinge nur minimal voranzutreiben sind. Damit sei er höchst unzufrieden. Früher dachte er, dass sich alles korrigieren ließe, was er falsch gemacht hat, heute sieht er den Lauf der Dinge fatalistisch: Mein Leben ist gelebt, ich kann nichts mehr korrigieren, alles, was ich falsch gemacht habe, bleibt falsch. Durchschlagende Wirkungslosigkeit, wiederholt er, die überdimensionalen graublauen Augen im schmal gewordenen Gesicht sind ohne Spott und Spiel, Michel meint es ernst.
Seine Bilanz ist von Enttäuschung bestimmt. Mitten hinein in das Selbstverständnis seiner Überlegenheit überfiel ihn der Herzinfarkt, da war er fünfzig. Von da an fühlte er sich nicht mehr unabhängig, nicht mehr autonom. Vier Jahre später kam das Ende der Sowjetunion – es gab plötzlich nur noch eine Weltmacht, Amerika. Die Welt zu verändern war nicht mehr möglich, meint er, aus der Traum. Der Kapitalismus herrscht uneingeschränkt, Prometheus ist gefesselt. Der Herzinfarkt1987 und der politische Infarkt 1991 – beide Katastrophen waren für ihn ganz und gar persönliche Verwundungen: Durchschlagende Wirkungslosigkeit, ich sehe mich als Verlierer. Sich nicht zu unterwerfen, koste Kraft, man dürfe sich im Alter dennoch nicht von seinem Übermut verabschieden, sagt Michel, nicht hinter sich selbst zurücktreten, man müsse der eigenen Subordination nicht auch noch zustimmen: Bescheiden zu werden ist für mich nicht akzeptabel. Zunehmende körperliche Beschwerden aber zwingen einen dazu, sich mit sich selber zu beschäftigen, zum Beispiel: Wie vermeide ich das Laufen?
Nach einem ärztlichen Kunstfehler lahmt sein linkes Bein: Du hast den schönsten Gang, den ich je an einem Mann gesehen habe, hat mir mal eine Frau gesagt, Uschi hieß sie. Melancholische Momente in der ehrgeizigen Öffentlichkeit des Café Einstein Unter den Linden.
Die Jagd nach Liebe hat ein Ende
Am Morgen kommt die Schlachtigall und singt das Lied vom Tod – Gigis erster Satz, als sie mir die Tür öffnet. Sie raucht Blue Line, eine dünne, lange, sehr weiße Zigarette. Schwarzes Mützchen, schwarze Zöpfe, weites schwarzes Hemd und eine orientalische Hose. Ein dämonisches Augen-Make-up und ein braun geschminkter Teint, ganz die Zigeunerin, als die sie sich ihr Leben lang in Szene gesetzt hat. Sie lacht, amüsiert von sich selber: Komisch am Altwerden ist, dass ich immer noch albern wie ein Mädchen bin, dann sage ich mir, Mensch, du bist vierundsechzig. Früher habe ich das kleine
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