Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Jahre ältere Geliebte Frau und Kinder verlassen, ist doch unglaublich!
Dann plaudern sie darüber, wie sie begraben sein möchten: Kein Reihengrab, ’ne Waldstelle will ich! Danach sind die Luftschutzkeller dran: Jede Nacht war Alarm, wenn ich die Sirene hörte, bin ich aufgesprungen, da war ich drei. Der Krieg geht nicht raus, der geht nicht raus.
Ich musste angezogen ins Bett gehen, damit wir schnell in den Keller rennen konnten.
Und die Wanzen, die Feuerwanzen.
Ich habe Kartoffelschalen gegessen, wir hatten ja nichts anderes.
Am Ende erzählen die Kriegskinder über ihre Arbeit damals bei der Postbank, damals bei Volkswagen, damalsbei Narva. Der Homo senex, wie gesagt, blüht auf, wenn er von früher reden kann, von damals, als er noch was darstellte, hinter dem Schalter, im Büro, in der Werkhalle: Die haben gespurt, wenn ich auftauchte, kannste glauben.
Der Homo senex will die Welt nur noch sehen, nicht mehr erobern. Auf Pauschalreisen nach Thailand besucht er die Pagoden, auf den Bahamas bezahlt er mit Bahama-Dollars, in Ägypten guckt er auf die Pyramiden. Die Erlebnisse bleiben flüchtig, sie huschen vorbei, ohne einen Eindruck zu hinterlassen, nichts ist mehr unauslöschlich. In der Jugend sei die Welt unendlich reich an Bedeutungen und Verheißungen, das geringste Ereignis rufe unzählige Schwingungen hervor, schreibt Simone de Beauvoir. Später, in einem geschrumpften Universum, blieben solche Schwingungen aus.
Besser gestellte Exemplare des Homo senex in Gestalt pensionierter Zahnärzte und lebenshungriger Beamter machen ihre Ausflüge in die Welt auf riesigen weißen Schiffen. Shows, Landgang, Geschnetzeltes, die Welt zieht an ihnen vorüber wie ein Bühnenprospekt. Die betagten Kreuzfahrer lassen sich bespielen, bespaßen und füttern, ein Stück Sahnetorte rutscht noch, Frau Dr. Lehmann.
Andererseits ist der Homo senex auf Sinnsuche. Am Ende seines Lebens sucht er nach Essenz, nach Erweiterung seines Horizonts, die findet er manchmal in der Kunst, für die er sich in seinem berufstätigen Leben keine Zeit nahm. Die Seniorengeschwader durchflattern als dunkle Schwärme Museen, Kunstausstellungen und Dichterhäuser. Der Kulturgenuss ist jetzt ihre Arbeit, ihr Pensum; der Kulturgenuss gibt ihnendas Gefühl, etwas geschafft zu haben. Im Fallada-Haus in Feldberg drängeln sich die greisen Kulturtrupps im Arbeitszimmer des Schriftstellers und hören mit Ehrfurcht und Abscheu, dass der morphiumsüchtige Hans Fallada den Roman »Jeder stirbt für sich allein« in sechs Wochen verfasste. Sie schieben sich durch die niedrigen Räume der dörflichen Künstlerbehausung und staunen über die modernen Küchengeräte der Familie Fallada.
ECHO II
Der Provokateur
Nicht im Einstein, da bist du im Dienst, da bist du laufend damit beschäftigt, Leute zu grüßen, da können wir nicht reden. Er bestand auf das Café Einstein und wartete in der hintersten Ecke, in ungewohnter Ruhe und Konzentration. Michel, so spöttisch wie sensibel, so vernichtend wie hilfsbereit, so oberflächlich wie tiefsinnig. Gaißmayer, der Strippenzieher und Berater, Redakteur von Alexander Kluges Kulturmagazinen. Die zwei Stunden im Einstein – ein elegischer Moment. Ich habe mich vorhin im Spiegel gesehen, sagt er, ich sehe aus wie die alten Menschen bei Pina Bausch, eine hinfällige Person. Meine körperliche Präsenz schwindet – als wenn dich das Leben verlässt! Du hast nur noch die verbale Präsenz, die ist aber nicht mehr mit einem attraktiven Körper verbunden, ich käme nicht mehr auch nur auf die Idee, mit einer Frau schlafen zu wollen.
Er lebt so öffentlich, als gäbe es nichts Privates. Die Öffentlichkeit ist sein Bassin, da exerziert er seinen mutwilligen Freistil, seine waghalsigen Kopfsprünge und elementaren Unterwassermanöver. Hier lebt er sein unverschämtes Kommunikationstalent aus, seine Aggressivität, seinen mephistophelischen Witz. Er lässt die Puppen tanzen und erfreut sich an ihren Verrenkungen. Er kann böse sein und taktlos, sarkastisch, schroff, ja höhnisch und das aus heiterem Himmel. Ichmeine immer mich, wenn ich versuche, andere aus ihren Selbstgewissheiten aufzuschrecken, sagt er. Er verunsichere, wo er selber unsicher sei, er verbreite Zweifel, wo er selber zweifle. Er setze Sympathien aufs Spiel, derer er allzu sicher sei. Seine Provokationslust sei immer auch eine Infragestellung der eigenen Person. Nimmt die Freude am Provozieren im Alter ab? Heute überlege ich mir zuweilen schon, ob ich
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